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»Siedlungspolitik Israels
Hindernis für Frieden«

Ulrich Klemens berät christliche Schulen in Palästina

Von Ulrich Hohenhoff
Sennestadt (WB). Seit Jahren beschäftigt sich der Sennestädter Ulrich Klemens mit Palästina, mit Land und Leuten, den politischen Gegebenheiten dort und kümmert sich besonders auch um die Schulsituation vor Ort. Jetzt wurde der 69-Jährige in ein Berater-Trio berufen, das sich eine Modernisierung der Unterrichtsformen und Lehrer-Qualifizierung an vier christlichen Schulen zum Ziel gesetzt hat.

Klemens kehrte just von einer Reise nach Palästina zurück, »ist nach wie vor erschüttert über die bedrückenden Umstände, unter denen die Menschen dort leben müssen«. Zu dem Team gehören neben Klemens der Amerikaner Dr. Rodney Schofield aus Colorado-Springs und die Professorin Dr. Jeanne Katten von der Universität Bethlehem. »152 Stunden haben wir im Schulunterricht zugebracht, um erst einmal eine ausführliche Bestandsaufnahme zu machen, zudem mit Eltern, Schülern und Lehrern gesprochen«. »Die palästinensischen Kinder haben einen ungeheuren Bildungswillen, gehen gern in Kindergarten und Schule«, sagt Elke Klemens (64), die ihren Mann auf der Reise begleitete. Unter dem Motto »Lehren, Lernen, Verwalten« untersuchte das Trio im Auftrag der geldgebenden Partner die Standards in den vier Schulen Talitha Kumi, Bethlehem, Ramallah und Beit-Sahour. »Es geht auch um die sinnvolle Verwendung der Spendengelder«, beschreibt Klemens seine Mission.
Der pensionierte Pädagoge gehört seit 1985 einem Kuratorium an, das die vier Schulen unter seiner Obhut hat. Finanziert wird der Schulbetrieb aus Spenden der Mitgliedskirchen und dem Schulgeld. Ursprünglich Christen vorbehalten, macht der muslimische Schüleranteil mittlerweile 30 Prozent aus.
Ulrich Klemens: »Privatschulen sind hochbegehrt in Palästina, allerdings schrumpft die Zahl christlicher Familien. Viele wandern aus in westliche Länder, weil sie in Palästina einfach keine Perspektive sehen. Und das müsste die christliche Welt unruhig machen«. Fast 70 Prozent der Bevölkerung seien arbeitslos, hätten durch die von den israelischen Besatzern eingeschränkte Bewegungsfreiheit keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Klemens ist auch Mitglied des pädagogischen Beraterkreises des Berliner Missionswerkes (BMW), das betreibt die 1851 von Kaiserswerthern Diakonissen damals als Waisenhaus gegründete heutige Schule »Talitha Kumi«. Mehr als 900 Kinder besuchen diese Einrichtung. Den Konflikt zwischen Israel und Palästina sieht Klemens als kaum lösbar an, »jedenfalls nicht, so lange die Palästinenser in ihren Wohngebieten eingesperrt sieht und Israel seine Siedlungspolitik so fortsetzt«. Entgegen allen Beteuerungen seien seit 2001 allein in der Westbank 87 neue Siedlungskerne entstanden. »Dass Israel die Siedlungen zurücknimmt, wird eine Illusion bleiben. Die wollen ein Land ohne Leute, haben bewusst die gesamte Infrastruktur Palästinas zerstört«.
Ulrich Klemens, der seit 1982 jeweils zwei bis drei Mal pro Jahr in Palästina ist, äußert sich »entsetzt über die völkerrechtswidrige Besiedlung der Westbank«. Alle palästinensischen Zentren seien von rein israelischen Siedlungen eingeschlossen , das nur für Israelis frei zugängliche Straßensystem verbinde alle Siedlungsblocks und teile so das Land in fünf große »Homelands«. Klemens: »Israel wird die Westbank nicht wieder herausgeben, durch die de facto Angliederung der Siedlungsblöcke an Israel ist eine Lösung für die von Anfang an angestrebte Annexion der Westbank gefunden«.
Die bis zu acht Meter hohe Mauer zwischen Israel und den verbliebenen palästinensischen Regionen vervollständige die Einschließung der nicht israelischen Bevölkerung. Realpolitische Begründung: Israel benötige Land für seine Einwanderer. Doch deren Zahl gehe laufend zurück, beispielsweise wollten die russischen Juden nicht nach Israel, sondern lieber nach Deutschland. Die Landnahme in der Westbank ist nach Ansicht von Klemens »das entscheidende Hindernis für den Frieden im Nahen Osten«. Vor dem Hintergrund von neuen Siedlungen, entgegen den Abmachungen in der »Roadmap«, erscheine die versprochene Räumung von vier Außenposten der Siedlungen in der Westbank zynisch. Klemens: »Nichts gegen das Existenzrecht Israels, aber deren Besatzungs- und Siedlungspolitik widerspricht allen völkerrechtlichen und moralischen Prinzipien«.
Ergreifend eine Frage aus dem Brief einer Schülerin der evangelisch-lutherischen »Talitha Kumi« - Schule, die den Traum eines freien Palästinas beschwört: »Wir sind Gefangene in unserem eigenen Land. Wir haben denselben Gott, wir atmen dieselbe Luft, wir haben dieselbe Sonne, warum haben wir nicht auch dieselben Rechte«?

Artikel vom 19.03.2005