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Leitartikel
Demokratie nimmt Schaden

Die Lümmel
von der
ersten Bank


Von Rolf Dressler
Am liebsten würden Rote und Grüne allein den aufmüpfig undankbaren Wahlbürgern und natürlich der ruppig-rüden Medien-Meute alle Schuld für die Götterdämmerung von Kiel in die Schuhe schieben. In Wahrheit aber haben Heide Simonis, Franz Müntefering und nicht zuletzt Gerhard Schröder sich die Mega-Blamage vom 17. März 2005 weitgehend selbst zuzuschreiben.
Was also tun, um zumindest dem Augenschein nach irgendwie die Kurve zu kriegen, heraus aus den Negativ-Schlagzeilen? Dünnemachen? Abtauchen? Aussitzen? Diesmal verheißen die alten Notnagel-Rezepturen kaum Linderung. Weder für das dringend reparaturbedürftige Schleswig-Holstein noch für Nordrhein-Westfalen, das gespannter denn je dem Landtagsstimmengang am 22. Mai entgegenfiebert, noch gar für die rot-grüne Bundesregierungszentrale in Berlin-Mitte.
Noch kurz vor dem Job-Gipfel mit den Unionsspitzen hatte der Kanzler beteuert und dem Volk zu versichern versucht, er und die Seinen wollten von Stund an »Deutschlands Kräfte stärken«. Ein lobenswerter Vorsatz, gewiss. Und naturgemäß konnte Gerhard Schröder, als er dies kundtat, nicht ahnen, dass ihm die Kieler Genossen - beinahe schicksalhaft zeitgleich - die Suppe so gründlich verhageln würden.
Indes sitzt der Pfahl im Fleisch viel tiefer. Denn auch das tolle Treiben der Kieler Polit-Sprotten ist nur ein Alarmzeichen mehr. Es knirscht und knackt viel länger schon im tragenden Gebälk von Demokratie und Demokratieverständnis. Keine Parteifarbe ist davon ausgenommen.
- Obwohl es nach politischem und finanziellem Riesenschaden förmlich riecht, drückt sich Außenamtschef Joschka Fischer seit Wochen darum herum, die Karten im Visa-Skandal offenzulegen. Ein Elefant im Aussitzer-Laden.
- Jan Dittrich, Chef-Vorlautsprecher der Jungen Liberalen in der FDP, schlägt Deutschlands Rentnern um die Ohren: »Alte, gebt den Löffel ab!« Dumme-Jungen-Torheit kann der Lümmel von der ersten Bank nicht für sich in Anspruch nehmen. Er ist schon 29. Volksverhetzung etwa?
- Und der Kieler SPD-Landtagsfraktionschef Lothar Hay verstieg sich gar zu der Einlassung, der unbekannte »Abweichler« und »Verräter« vom 17. März 2005 könne eigentlich nur krank sein ...
Erfüllt sich in alldem womöglich die Prophezeiung des großen Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888 - 1985)? Er sagte vorher, dass die Demokratie schleichend ausgehöhlt werde von ihren eigenen Repräsentanten: »Wirkliche Diskussion entfällt. Der Bürgerwille wird links liegengelassen, die Öffentlichkeit entfällt. Der repräsentative Charakter der Parlamente und der Abgeordneten entfällt.«
Im Klartext: Verliert die Demokratie ihre »Entscheidungsmitte» (Verfassungsrechtler Prof. Paul Kirchhof), werden die Parlamente entmachtet. Das könnte am Ende genau der Staatsform den Boden entziehen, die doch gerade auf dem Prinzip politischer Selbstbestimmung der Bürger fußt.
Wir sollten uns wappnen - mit Einfallskraft, Herz und Verstand.

Artikel vom 19.03.2005