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Kommentar
Steinbrück vor der Wahl in NRW

Mit dem Blick zurück auf Kiel


Es ist ein Zufall, dass den Kieler Finanzminister Ralf Stegner ausgerechnet mit NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück vieles verbindet.
Der von manchen sogar als möglicher Heckenschütze verdächtigte Stegner könnte als zweiter Sieger aus der beispiellosen Niederlage seiner Ministerpräsidentin hervorgehen. Er gilt als potenzieller Simonis-Thronfolger. Entweder führt er demnächst eine Wackel-Koalition mit Grünen und SSW, was er nicht will, oder er wird Vize in einer großen Koalition neben einem CDU-Ministerpräsidenten. Sein Kalkül: so lange im Schatten von Peter Harry Carstensen die eigene Position aufbauen und absichern, bis die CDU wieder in alte Streitereien verfällt.
Das ist alles Spekulation. Gewiss dagegen ist, dass Stegner zuletzt wie kein anderer im Kabinett Simonis durch die Finanzmisere Schleswig-Holsteins alarmiert war. Als Ressortchef spürte er Tag für Tag, wie ihm das Wasser bis zu Halse stieg, die Grünen und seine Chefin aber immer neue Wünsche hatten.
Auch der Düsseldorfer Wahlkämpfer Steinbrück ist schon einmal am Geschäftsgebaren von Frau Simonis schier verzweifelt. Kurz bevor er 1998 aus ihrem Kabinett schied, fiel er dort mit unangenehmer Kritik an der Regierungschefin auf. »Klein, klein auf Pepita-Niveau« nannte er die Finanzpolitik an der Förde. Dabei waren die Schulden seinerzeit gemessen an den heutigen Verhältnissen noch geradezu bescheiden.
Egal wie es zwischen den Meeren weitergeht, an Rhein und Ruhr ist die Wahlkampf-Stimmung erst einmal gründlich verdorben. Ehrliche Kämpferherzen wie Verkehrsminister Axel Horstmann, siehe Interview, reden da gar nicht mehr groß drumherum. Für sie will der 20. Februar einfach kein Ende nehmen. Dabei braucht NRW aus Sicht von Steinbrück, Schartau und Genossen zum 22. Mai dringend einen Themenwechsel - weg vom grünen Gift.
Von einem schweren Schlag ins Kontor sprechen die Parteienforscher und sehen die SPD mit dem Rücken zur Wand. Es sei schier unmöglich, den eigenen Anhängern jetzt noch die nötige Zuversicht einzuflößen, heißt es.
So weit gehen die Granden in der Landes-SPD nicht. Sie wissen - und das verbindet sie mit der Seelenlage in der Union -, dass politische Stimmungen innerhalb von 14 Tagen völlig umschlagen können. So will sich in NRW niemand mehr auf den Genossen Trend verlassen.
Jetzt gilt es, jedes nur denkbare Konfliktthema für die rot-grüne Koalition in den nächsten Wochen aus dem Weg zu räumen. Schon die gute Nachricht für NRW, dass Milliarden Euro in Kraftwerke und Energie-Netze fließen sollen, muss feinfühlig auf Konfliktpotenzial abgetastet werden.
Größte Gefahr: Schon lange nervt Steinbrück und die SPD das ständige Nachkarten von Bärbel Höhn bei längst beschlossen Projekten. Nicht auszuschließen, dass sie jetzt wegen der Urananlage in Gronau (160 Arbeitsplätze) einen Prozess gegen die eigene Regierung anstrengt.
Nicht nur die Menschen in NRW sind Rot-Grün leid, wie Jürgen Rüttgers sagt, sondern die Beteiligten auch - sie können es nur nicht zugeben. Und das fällt angesichts der Krämpfe in Kiel immer schwerer.Reinhard Brockmann

Artikel vom 19.03.2005