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Die Welt der osteuropäischen Juden

»KulturTreff« mit jiddischen Liedern und Geschichten kam sehr gut an

Von Gustav-Adolf Lent
Senne (WB). Jiddische Lieder und Geschichten war eine Veranstaltung des KulturTreff überschrieben, die zahlreiche Besucher in die evangelische Friedenskirche lockte. Peter Jarre, Rezitation, Bernd Widmann, Gesang, und Karin Lukin, Klavier, entführten die hochgespannten Zuhörer in die zumeist unbekannte Kulturwelt der osteuropäischen Juden.

Mit dem Sprichwort »Wenn ein Jude hungrig ist, singt er!« lässt sich der Tenor der Jiddischen Volkslieder umschreiben, deren Inhalt sich mit dem harten Arbeitstag, der nicht bezahlbaren Miete, aber auch mit Trinkfreuden, Impressionen nach 50 Jahre Ehe und Liebesfreuden beschäftigt.
Man findet in diesen Liedern, auch besonders durch die Musik ausgedrückt, alle menschlichen Gefühle, Sarkastisches, Schmalz und Spott und ein Lachen ohne Lächerlichkeit. Mit einer ihm eigenen Inbrunst und geistigen Identifikation verstand es Bernd Widmann, den Charakter und das Melos eines jeden Liedes zu vermitteln, ohne die aus dem Mittelhochdeutschen stammende und mit slawischen und romanischen Worten durchsetzte Sprache im einzelnen zu übersetzen.
Bei der gelungenen Darstellung half ihm möglicherweise ein einjähriger Aufenthalt in Israel, um die stellenweise verzwickten rhythmischen und harmonischen Wendungen der slawischen und russischen Musik, die sich in den Liedern wiederfinden, auszudrücken. Dabei wurde er durch Karin Lukin ausgezeichnet unterstützt und musikalisch getragen, hatte sie doch wegen fehlender geschriebener Klavierbegleitung eigene Arrangements zu den Liedern verfasst. Da in der originalen jiddischen Musik neben der Klarinette, der Geige und dem Bass das Klavier nicht auftaucht, ist die dargebotene Fassung ein Kompromiss, der akzeptabel ist.
Den Hauptteil des Abends machte die Begegnung mit dem Werk des Schriftstellers Isaak Bashevis Singer (1904-1991) aus, dessen Erzählung den Stoff für den Film »Jentl« bildet. 1978 wurde ihm für sein Gesamtwerk der Nobelpreis für Literatur verliehen.
Peter Jarre hatte Geschichten herausgesucht, die in unterschiedliche Weise prägnante Züge jüdischen Lebens darstellten. Da ist zum einen die Waschfrau, ohne die sich der Schreiber den Garten Eden nicht vorstellen kann. Diese nimmt das Prinzip Pflichterfüllung so ernst, dass sie selbst unter lebensbedrohlichen Verhältnissen ihre Aufgabe erfüllt, bevor sie stirbt.
Ironisch beleuchtet Singer im »Fatalist« die Frage nach der Rolle des Schicksals im Leben, die es dem Protagonisten erlaubt, sich vor einen Zug zu werfen, um damit eine Heirat zu erzwingen. Die Sache endet gut mit dem Fazit, dass er sich aber nicht noch mal für diese Frau vor einen Zug werfen würde.
Die Geschichten von dem gerissenen Todie, der einem Reichen vorgaukelt, seine Silberlöffel könnten Kinder gebären und dem Schmuggler, der sich mit seiner Lebensphilosophie durchs Leben schmuggelt, bildeten den Abschluss eines interessanten und nachdenklich machenden Abends, der liebevoll vorbereitet einen tiefen Einblick in die Mentalität osteuropäischer Juden ermöglichte.
Das Publikum dankte mit starkem Beifall allen Mitwirkenden. Pfarrer Berthold Schneider drückte diesen Dank mit Blumen aus und verwies auf die nächste Veranstaltung am 17.April, bei der virtuose Salonmusik für Euphonium und Klavier mit Campbell Shillinglaw und Gustav-Adolf Lent zu hören sein wird.

Artikel vom 17.03.2005