19.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Wo war das?«, frage ich mit offener Neugier.
»Nun, etwas südlicher von hier.«
»Florenz?«
»Ihr habt es erraten!«
»Meint Ihr das Reiterbildnis unseres Königs im Buen Retiro?«
»Wieder erraten!«
»Nun, Meister Tacca hat ein brillantes Standbild erschaffen. Es ist sicher eine bemerkenswerte Leistung, eine überlebensgroße Reiterfigur im Sprung zu erfassen und dazu ihr ungeheures Gewicht nur auf die zwei Hinterläufe zu stellen. Er war der erste Gießer auf Gottes Erdboden, der das geschafft hat.«
»Ach, wir würden eine solche Berechnung auch hinbekommen. Doch dass bei einem Guss ein Gesicht so verformt wird, dass selbst der König seinen Kopf nicht mehr ähnlich findet, so etwas käme bei uns nicht vor«, erwidert Bianco schadenfroh.
Ohne dass ich es mir anmerken lasse, hat er damit bei mir einen wunden Punkt getroffen. Seine Häme spielt sicher auf Philipps Kritik an, der vergeblich nach einer Ähnlichkeit im Gesichtsausdruck forschte.
Doch dass das Tonmodell für den Kopf des Königs unter meiner Mitwirkung entstanden war, ist Signor Bianco sicher unbekannt. »Das kann Euch ja nicht passieren. Eure Königin muss mit ihrem Gesicht zufrieden sein!«, kontere ich.
Bianco versteht meinen Spott nicht sofort. Als ihm dämmert, was ich gemeint haben könnte, wirft er mir einen zornigen Blick zu, aber schluckt seine Antwort hinunter.
Die Verabschiedung gerät entsprechend kurz und förmlich. Bei der Rückfahrt nehme ich Juan neben mich in den Wagen. »Was ist dein Eindruck?«, frage ich ihn.
»Er hat kein Recht, das Reiterdenkmal unseres Königs herabzusetzen«, bricht es aus ihm heraus.
»Signor Bianco ist sicher ein guter Gießer.«
»Aber ohne einen guten Bildhauer und Former ist seine Arbeit nichts wert.«
»Würdest du ihn Abgüsse nach den edlen griechischen Figuren aus dem Besitz des Papstes machen lassen?«
Juan hebt abwehrend seine Hände. »Madonna!«, ruft er entsetzt aus.
Genua, 18. März 1649

G
estern habe ich endlich einen Einladungsbrief des Malers Cornelis de Wael vorgefunden und daraufhin sofort einen Besuch zugesagt. Gut zwanzig Jahre ist es her, dass ich ihn das letzte Mal sah. Noch von Bord der Galeone hatte ich mein Eintreffen in Genua brieflich bei ihm angekündigt. Ich erhoffe mir, dass de Wael nicht nur ein nützlicher Ratgeber, sondern auch beim Erwerb von Meisterwerken behilflich sein wird. Es heißt, er kenne die Maler, Bildhauer, Sammler und Auftraggeber in allen wichtigen Orten Italiens. Wie ich schon in Madrid erfahren habe, ist de Wael inzwischen zur wichtigsten Person der flämischen Kolonie in Genua emporgestiegen und damit Oberhaupt der Händler und Agenten. Nicht zuletzt erfreut er sich eines hohen Ansehens bei den Malern Genuas. Eine bessere Adresse für einen vielversprechenden Start meiner Mission kann ich mir nicht denken É
Aus meiner Skizzenmappe, die ich seit der Überfahrt von Malaga nach Genua angelegt habe, wähle ich eine gefällige Ansicht Genuas als Gastgeschenk aus. Die Einladung kommt zum richtigen Zeitpunkt, da ich seit heute Mittag endlich neu, wie ein vornehmer Genuese, eingekleidet bin und somit auch als ein würdiger Abgesandter meines Königs auftreten kann. Die Kutsche der Dorias unterstreicht die Bedeutung meiner Reise, vermutet man doch bei dem, der darin sitzt, Autorität, Einfluss und Reichtum.
Nach einer langen und umständlichen Route in den Westen der Stadt rolle ich mit dem Gespann auf eine kreisrunde Auffahrt. Als ich de Waels Palazzo vor mir sehe, fühle ich mich, als sei ich endlich wieder ich selbst, wie damals vor zwanzig Jahren, nur reicher an Erfahrung.
Kaum dass die Kutsche ausrollt, erscheint de Wael im Eingangsportal. Er ist einen Kopf kleiner als ich und hat ein ovales Gesicht mit hohen Backenknochen. Dazu eine schmale Nase und ein spitzes Kinn. Sein Haupthaar ist überraschend kurz geschnitten und läuft in grauen Schläfen aus. Auch bei ihm haben die vergangenen Jahre ihren Tribut gefordert. Dagegen ist sein Schnurrbart noch von keinem einzigen ergrauten Haar durchwirkt. Durch seine dunklen Augen wie auch aufgrund der braun gegerbten Haut wirkt er auf mich diesmal eher wie ein Südländer als wie ein Flame, der er von seiner Geburt her ist.
»Willkommen in Genua! Ich freue mich, einen Abgesandten meines Königs in meinen Mauern zu wissen«, vernehme ich seine Worte im reinsten kastilischen Dialekt.
Sehr geschickt, geht es mir durch den Kopf, gibt er sich doch dadurch nach außen hin den Anstrich, als wäre er ein überzeugter spanientreuer Niederländer. »Euch und Eurer verehrten Gemahlin herzlichen Dank für die Einladung, Señor de Wael!«, erwidere ich seinen Willkommensgruß.
Nachdem er mich in den Empfangsraum geführt hat, der mit scheußlichem türkischem Firlefanz ausgestattet ist, ziehe ich behutsam die Skizze aus der Mappe. »Ich nehme an, Ihr kennt Genua aus vielen gemalten Perspektiven«, kündige ich meine aquarellierte Stadtansicht an, »doch diese Ansicht vom Schiff aus entstand ja unter besonderen Bedingungen. Ich bin sicher, Ihr werdet Gefallen daran finden.«
De Wael betrachtet das Aquarell andächtig, während seine Augen vor Begeisterung zunehmend zu leuchten beginnen. »Ist es wahr? Ein Original von Diego de Velázquez?«
»Ich habe stets gern an die Tage unserer ersten Begegnung vor gut zwanzig Jahren zurückgedacht. Sie sind mir bis heute in guter Erinnerung É«, sage ich betont leise.
»Ich fühle mich sehr geehrt, dass Ihr die Erinnerung an damals mit einem meisterlichen Aquarell würdigt É«
»É und erneuern will!«, ergänze ich. »Es entstand an Deck der Nuestra Señora de Atocha.«
»So hat eine Quarantäne auch etwas Gutes«, erwidert de Wael, während er in der Schublade einer wuchtigen Kommode kramt. Kurz darauf hat er gefunden, wonach er gesucht hat und reicht mir einen Kohlestift. »Bitte verseht es mit Eurer Widmung!«
Ahi Genovesi, uomini diversi dÕogni costume, e pien dÕogni magagna, perchè non siete voi del mondo spersi É, wähle ich die Worte Dantes aus seiner Göttlichen Komödie, mit denen er den Charakter Genuas und seiner Bürger so trefflich ausdrückt: O Genueser, Männer, aller Sitte entfremdet und bedeckt mit allen Fehlern, was seid ihr von der Welt nicht ausgerottet É
Gerade als ich meine Initialen darunter setze, erscheint Señora Laura de Wael in der Tür. Für einen Moment bleibt sie wie angewurzelt stehen, was die Wirkung ihres Auftritts noch unterstreicht.
Was für eine schöne Sache doch der Reichtum ist, geht es mir spontan durch den Kopf. Die Dame bietet einen überwältigenden Anblick. Gold, Smaragde und Perlen zieren Hals und Hände im Übermaß. Gefesselt wird mein Blick durch das Oberteil, das sich zu einem dreieckigen Ausschnitt öffnet und offensichtlich wieder durch Schnüre und Spangen locker zusammengezogen ist.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 19.03.2005