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Am Gold geknabbert

Tobias Unger: Nach EM-Medaille kommt die Hausarbeit

Madrid (dpa). Beim Zwischenstopp in Barcelona hatte Goldjunge Tobias Unger endlich wieder festen Boden unter seinen schnellen Füßen.

»Langsam komme ich von Wolke sieben runter und kann das alles mit Abstand genießen. Die Nacht war kurz. Ich habe nach dem Festbankett nur zwei Stunden geschlafen«, gestand der neue 200-m-Halleneuropameister gestern Vormittag auf dem Flughafen der katalanischen Metropole.
Der Flieger nach Stuttgart wartete schon - und eine neue Herausforderung. »Nächste Woche muss ich endlich meine Hausarbeit bei Professor Digel abgeben. Er hat mir extra eine Galgenfrist eingeräumt«, verriet der Sportmanagement-Student im ersten Semester. In Tübingen wird Unger von Institutsdirektor Helmut Digel betreut. »Tobias musste mir versprechen, dass er in Madrid eine Medaille holt. Danach hat er Aufschub für seine Hausarbeit bekommen. Und er hat sein Versprechen gehalten«, erklärte der Sportwissenschaftler, zugleich Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF).
Wie ein schwäbischer Lausbub hatte Unger am Sonntag im Palacio de Deportes an seiner Goldmedaille geknabbert. Europas Champion in deutscher Rekordzeit von 20,53 Sekunden: »Das war mein schönster Tag.« Und ein historischer: Erwin Skamrahl war vor 23 Jahren in Mailand der bis dato letzte Halleneuropameister des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) auf dieser Strecke.
Die Hallensaison ist für Unger beendet, mit der Hausarbeit hat der 25-Jährige vom LAZ Kornwestheim-Ludwigsburg noch nicht einmal angefangen. Im Endspurt will der Olympia-Siebte aber nun alles aufholen: »Da muss ich jetzt Gas geben.« Das Thema der Arbeit hat ihm Digel schmackhaft gemacht: »Die Ernährung im Sport am Beispiel der Leichtathletik«.
Nach seinem ersten internationalen Titel ist Unger auf einem guten Weg. »Die Goldmedaille gibt mir Rückenwind für die Freiluftsaison«, meinte der Schützling von Trainer Mihai-Marius Corucle. Madrid ist abgehakt, Helsinki steht ganz oben auf dem Zettel. Bei den Weltmeisterschaften (6. bis 14. August) will Unger auf den Punkt genau topfit sein und den 200-m-Rekord des Magdeburgers Frank Emmelmann (20,23 Sekunden/18. August 1985) angreifen.
»Ich denke, dass ich in einem guten Rennen 20,20 oder schneller rennen kann«, sagte Unger. Den 20. Jahrestag soll die Emmelmann-Zeit jedenfalls nicht mehr erleben. Ungers Bestleistung aus dem olympischen Vorlauf von Athen steht bei 20,30 Sekunden.
Gut für den DLV: Zwar glänzte Unger in Madrid besonders, aber mit Sebastian Ernst (Schalke/wegen Laufens auf der Bahnbegrenzungslinie disqualifiziert) und Alexander Kosenkow, der Mann vom TV Wattenscheid wurde über 200 m Siebter, gibt es weitere Sprinter von Format. Und Tim Göbel, mittlerweile auch schon 23, hat nach langer Verletzungspause, Trainer- und Vereinswechsel, immerhin wieder das 60-m-Finale erreicht, in dem er allerdings nach einem verpatzten Start nur Letzter wurde.

Artikel vom 08.03.2005