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Leitartikel
CDU-Landesparteitag

NRW - alles andere als ein Traumerbe


Von Reinhard Brockmann
Man stelle sich vor, CDU und FDP könnten die SPD in NRW nach 39 Jahren aus der Regierung drängen, und keiner geht darauf ein: Passgenau zum Landesparteitag bestätigen gleich zwei Umfragen, darunter das SPD-nahe Forsa-Institut, der Opposition im Landtag eine satte Mehrheit von 49 bzw. 50 Prozent. Jahrzehntelang hatten die Strategen von Kurt Biedenkopf, Norbert Blüm und eben auch von Rüttgers weit kleinere Zahlen immer wieder vergebens zur Trendwende hochgeredet. Endlich gibt es allen Grund zum Auftrumpfen, aber still ruht der See. Fast so, als könne die Union es selbst noch nicht glauben, wiesen alle Parteitagsredner beschwörend auf die Flüchtigkeit des Genossen Trend hin.
Parteichefin Angela Merkel ging nicht mit einer einzige Silbe auf den Durchbruch an der Umfragefront ein, Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers streifte das Thema nur beiläufig.
Jetzt bloß nichts falsch machen, lautet die Devise. »Wir haben unsere Probleme hinter uns, die SPD hat sie vor sich«, sagte Rüttgers, und man glaubte ein leises »Hoffentlich bleibt das so« aus den Zuhörerreihen zu vernehmen.
Die Linie der CDU ist indes unverändert: Nur was Arbeit schafft, ist gute Politik. Alles, was Beschäftigung gefährdet oder neue Jobs verhindert, ist rot-grün und des Teufels. Rüttgers und seine NRW-in-Teams aus Senioren und Jugendlichen sprechen eine Sprache, die verstanden wird. Lange Schlangen in den Arbeitsagenturen, leerstehende Geschäfte in den Innenstädten und kaputte Straßen - das lasse die Menschen hautnah spüren, was los ist im Lande, sagte Generalsekretär Hans-Jürgen Reck.
Fast scheint es so, als hätten die Umfragen der Partei schockartig klargemacht, welche Herkules-Aufgabe sie sich da aufhalst. NRW ist wahrlich kein Traumerbe: Nach der längsten Wirtschaftskrise seit 1945, mit mehr als einer Million Arbeitslosen, 110 Milliarden Schulden und katastrophalen Bildungslücken ist nur schwerlich Staat zu machen. Dass Rüttgers schon vor der Wahl ein brutales Sparprogramm ankündigt, ist gleichermaßen Selbstschutz und grundehrlich. Auch wenn er es nicht so nennt, bewirbt sich der Noch-Oppositionsführer mit einem Eisen-, Schweiß- und Schmerz-Programm.
Heerscharen von Gutachtern, Bürokraten und Bremsern werden nicht mehr benötigt, wenn die Finanzlücke von jährlich vier Milliarden Euro zurückgefahren wird. Nicht nur grüne Spielwiesen werden dann untergepflügt, auch anderes, was uns lieb und teuer ist, steht zur Disposition. Denn bei alledem wird Geld für 4000 zusätzliche Lehrer benötigt.
Jürgen Rüttgers verspricht der CDU im Westen alles andere als ein Zuckerschlecken, dafür aber Lustgewinn im eigenen Lager. NRW soll nicht nur die Bayern bis 2012 einholen, sondern auch den CDU-Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen eine Nase zeigen.

Artikel vom 07.03.2005