26.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Leitartikel
Hartz von unten

Altersarmut - immer inbegriffen


Von Reinhard Brockmann
Nach der Beinahe-Regierungskrise diese Woche im Kabinett Schröder gilt es, die Herren Politiker einmal mehr daran zu erinnern, dass es bei Arbeitsmarktreformen immer noch um Menschen mit großen persönlichen Sorgen geht. Die kommen im aufgeregten Streit um vermeintliche und tatsächliche Fehlentwicklungen nach gerade acht Wochen ALG II und neuer Arbeitsmarktstatistik fast gar nicht mehr vor.
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement verschiebt »Koma-Patienten« und »Aids-Kranke« auf dem Schlachtfeld mit Städten und Gemeinden. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit lässt wenig weise erkennen, dass ältere Arbeitslose aus dem Osten chancenlos sind und Hartz eigentlich schon gescheitert ist. Die Sozialgerichtsbarkeit urteilt schließlich, wilde Ehen von Langzeitarbeitslosen seien leider doch doppelt förderungsfähig.
Das mag alles nicht so gemeint sein, kommt aber bei den vielen Menschen, die arm und ärmer werden, genau so an.
Wie Sprengstoff wirken dann auch Luxusabfindungen von mehr als 200 000 Euro für 50-jährige Opelaner oder etwa die Privilegierung von Kohlekumpeln. Für diese gilt Hartz IV einfach nicht. Sie genießen Vorruhestandsregelungen wie aus Norbert Blüms besten Zeiten.
Kein Wunder, dass bei alledem illegale Schwarzarbeiter - ob mit oder ohne Fischer-Ticket - gestandene Sozialdemokraten und Gewerkschafter von Schlage eines Harald Schartau nervös machen. Und was sollen arbeitslose Mitbürger, die sich sowieso schon als irgendwie nicht mehr dazugehörig fühlen, von der kommenden EU-Dienstleistungsrichtlinie denken? Noch sind es allein Schlachter, die an ihren angestammten Arbeitsplätzen zwischen Espelkamp und Paderborn von Osteuropäern auf Sloty-Basis verdrängt werden. Aber schon bald werden wir noch sehr viel mehr Kreativität auf Arbeit-Weitergeber-Seite erleben...
Es lohnt auch, die Sache einmal aus dem Blickwinkel der von Hartz scheinbar bestens versorgten 80 000 Teilnehmer an Trainingsmaßnahmen, 240 000 Ich-AGlern, 74 000 Ein-Euro-Jobern und 410 000 jungen Leuten unter 25 Jahren, (Fachgruppe: JUMP) zu betrachten. Sie sind schlecht bezahlt, verlieren Jahr für Jahr Wohlstand und ahnen, dass sie spätestens im Rentenalter auf der Armutsschwelle angekommen sind.
Außerdem: Jede Schlagzeile - auch in dieser Zeitung - über »sozialverträglichen« Personalabbau ohne Entlassungen ist für sie keine gute Meldung sondern schlicht eine Katastrophe. Denn: 5,1 Millionen Arbeitslose im Februar und eine ganze Generation von nachwachsenden jungen Leuten müssen mit Sorge erkennen, dass die Vollarbeitsplätze in Deutschland vor ihren Augen dahinschmelzen wie der Schnee in den kommenden Wochen.
Und was tun die Herren Clement, Eichel, Schröder, Müntefering und Co.? Sie streiten sich - zumindest aus der Sicht von ganz unten - wie die Kesselflicker.

Artikel vom 26.02.2005