07.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Danach wollten wir auf den Monte de Gibralfaro pilgern, um einen ersten Blick auf den Hafen zu werfen.
Doch die Tore Malagas blieben für mich und meinen Tross verschlossen. Uns wurde bedeutet, dass Gefahr bestünde, wir könnten die Pest in die Stadt tragen. Es dauerte ganze fünf Tage, bis sich der Commandante bequemte, meine eilig geschriebenen Briefe und beigefügten Dokumente wenigstens zu prüfen. In meiner Verzweiflung schrieb ich auch noch dummerweise einen Brief an Pio Barojo, mit der Bitte um Hilfe bei der Durchsetzung unserer Rechte. Das Ergebnis war niederschmetternd. Man mutete uns zu, eine weitere Woche vor den Mauern der Stadt auszuharren.
Meine einzige Hoffnung auf ein schnelles Ende des unwürdigen Zustandes ruhte auf der Ankunft des Herzogs von Nájera. Doch als dieser kurzerhand mit seinem verbliebenen Tross an uns vorbei in die Stadt einzog und dabei weder von uns Notiz nahm, noch uns eines einzigen Blickes würdigte, wurde mir endgültig bewusst, dass ich einer abgefeimten Verschwörung zum Opfer fallen sollte.
Die Situation spitzte sich zu, als uns die Torwache bei meinem sofortigen energischen Versuch, in die Stadt hineinzukommen, erneut abwies und von mir einen Pestbrief verlangte. Nun bestand kein Zweifel mehr. Diese Niederträchtigkeiten waren planvoll gelenkt. ÝQuarantäneÜ konnte bedeuten, eine insgesamt vierzigtägige Frist einhalten zu müssen.
»Ich bin weder Moses noch Elias, schon gar nicht Jesus, der zur Läuterung vierzig Tage abgesondert in der Wüste leben muss!«, wetterte ich, als mir die Wachen erneut den Weg versperrten. Doch trotz meiner Ohnmacht erkannte ich für mich eine letzte Chance. Da der Pestbrief besagt, dass der Herkunftsort pestfrei sein musste, war klar, dass sich für mich die Tore Malagas öffnen mussten. Denn Madrid konnte weder als verseucht noch als unrein bezeichnet werden. Waren der Herzog und seine Eskorte nicht ebenso aus Madrid angereist?
Da ich den Wachen nicht traute, benutzte ich eine List. Ich schrieb einen Brief an Menéndez, den ich meinem Diener Juan übergab. In diesem Schreiben bat ich um Aufklärung des Commandante von Malaga und um die Durchsetzung der Anordnungen des Königs, die da lautete: Es sei uns Unterkunft, Verpflegung und jedwede Hilfe seitens der Stadt Malaga zu gewähren É
Unweit unserer Behausung kroch Juan auf einen Karren und ließ sich von Apfelsinen begraben. Juan war erfolgreich. Er gelangte unbemerkt durch das Tor in die Stadt. Am nächsten Tag konnten auch wir, in Begleitung des Conde Ramón Menéndez, endlich das Tor passieren.
»Wo ist Euer Schwert?«, knüpfte ich dort an, wo unser Gespräch in Loja geendet hatte.
»Señor Diego«, sprach Menéndez mit ruhiger Stimme. »Keiner aus dem Kreis des Herzogs wird zugeben, die Wachen beauftragt zu haben, Euch den Zutritt zur Stadt zu verwehren.«
»Freiwillig wird es keiner zugeben, aber es gibt Mittel und Wege, sie zu zwingen!«
Menéndez hielt seinen Blick in die Ferne gerichtet. »Ihr müsst jetzt klug handeln. Das mit der Pest ist nicht von der Hand zu weisen. Über unser Schiff, die Nuestra Señora de Atocha, die uns nach Genua bringen soll, wurde eine Quarantäne verhängt. Sie liegt nun schon seit gut zwanzig Tagen draußen auf dem Meer vor Anker. Die Galeone kam aus Sevilla und gilt als pestverdächtig.«
»Madrid gilt nicht als pestverdächtig É«, begehrte ich auf.
»Wem sagt Ihr das? Natürlich haben Eure Feinde die schlimmen Befürchtungen des Commandante von Malaga heimtückisch auf Euch gelenkt.«
»Feinde? Es kommt nur ein einziger in Betracht!«
»Egal, einer handelt, viele denken das Gleiche. Seid auf der Hut, aber nehmt es hin.«
»Ich werde es nicht hinnehmen. Nicht in dieser Weise. Ich werde den Herzog von Nájera zur Rede stellen!«, antwortete ich zornig.
»Señor Diego, hört auf mich. Ich rate Euch, lasst es bleiben. Erst wenn Ihr den Boden Genuas betretet, könnt Ihr Euch wirksam gegen das Vorgefallene wehren. Vorher würdet Ihr nur Eure Mission gefährden. Man wartet doch nur darauf, dass Ihr Fehler begeht.«
»Man? Ich bitte Euch, sagt mir, was Ihr wisst. Wer und was steckt dahinter?«
»Nun gut, wie Ihr wollt! Ich will es so beschreiben: Unsere Silberschmiede schaffen kostbare Stücke, verachten jedoch das Arbeiten. Sobald sie zwei bis drei Reales beisammen haben, umgürten sie sich mit einem Schwert und spielen den Hidalgo.«
»Ihr meint den Standesdünkel der Vornehmen? Als christliche Herren zu leben und sich von Mauren bedienen zu lassen É?«
»So kann man es betrachten. Und Ihr seid derjenige, der sich den Auftrag des Königs erschlichen hat, Unsummen zu verschleudern, die diese Edlen in ihren Taschen schmerzlich vermissen. Daher der Hass auf alles, was ihnen das schöne Leben verdirbt. Sie wollen eben Herren sein, nichts anderes.«
»Das alles kann sich doch nicht über meinen Kopf ergießen«, antwortete ich.
»Ich will offen zu Euch sein, Señor Diego. Ihr wisst, viele achten wie Habichte darauf, dass der Unterschied zwischen Herr und Knecht nicht verwischt wird. Er dient dem Überleben der Herren und ist das Einzige, was die Ordnung aufrechterhält.«
»Der eine befiehlt, der andere gehorcht É Meint Ihr das?«
»Sentido cristiano de servicio, der Geist der heiligen Knechtschaft! Ist das nicht das Gefühl, das uns alle durchdringt? Wer nicht Herr ist, hat Diener zu sein. Ihr versteht?«
»Ich kenne den Unterschied sehr wohl. Doch ich verstehe die Absicht nicht ganz É«
»Ein jeder Herr ist Ritter. Für einen Herrn ist es eine Schande, zu arbeiten. Ihr seid kein Ritter und habt doch treue Diener É Das verwirrt manch einen.«
»Das wäre ja nun doch der Gipfel der Missgunst. Hört, ich werde mich nie mehr selbst bedienen müssen. Das ist vorbei! Sollen doch die Gutsherren ihren Ackerbau den Engeln überlassen!«, erzürnte ich mich erneut.
»So beruhigt Euch doch, Señor Diego. Ihr wolltet doch É«
»Nur zu! Nehmt keine Rücksichten.«
»Seht, was sie nicht verwinden können, ist Euer Einfluss bei Hofe, den Ihr ohne jeden adligen Rang ausübt É allein durch die Gottesgaben Eures Geistes und Eures Talents. Soll ich Euch sagen, dass ich froh bin, dass Ihr unserem König dient?«
Ich erwiderte nichts darauf, wusste ich doch, dass MenéndezÕ Hinweis auf meinen niedrigen Stand mich an meiner schwächsten Stelle traf. Ich störte das Gefüge. In ihren Augen war ich ein Diener und selbst als Maler des Königs immer noch ein einfacher Handwerker, der für schnödes Geld den Pinsel in die Hand nahm. Das Ganze widerte mich an, erinnerte mich allerdings erneut schmerzlich daran, dass ich alles daran setzen musste, um meine Mission in Italien erfolgreich abzuschließen. Ich war mir sicher, dann würde ich alle Voraussetzungen erfüllt haben, um endlich in den Santiago-Orden aufgenommen zu werden. Doch erst musste ich nach Italien gelangen É
»Señor Diego, lasst die Niedertracht an Euch abtropfen wie ein Schwan das Wasser von seinem Gefieder!«, versuchte Menéndez meinen schwelenden Zorn zu kühlen.
»Ja, für jeden Christen hält Gott eine neue Sonne bereit und einen unbeschriebenen Tag«, gab ich in versöhnlicherem Ton zurück. Ich nahm mir seinen Rat zu Herzen und entschied mich, vorerst von meinen Rachegelüsten Abstand zu nehmen.
Kurz darauf bezogen wir Quartier in einem stattlichen Haus nahe der unfertigen Kathedrale. Als ich ihm dankte und mich verabschiedete, waren wir uns einig, dass wir engen Kontakt halten sollten, bis alles bereit war, mit der Nuestra Señora de Atocha nach Genua auszulaufen É
Obwohl ich mir sicher war, dass Menéndez aufrichtig agierte, verließ ich mich in den darauf folgenden Tagen nur auf meine eigene Wahrnehmung wie auch auf Hinweise, die von Esquivel und Juan an mich herangetragen wurden. So brachte Letzterer über seine Kontakte zu den Fischern in Erfahrung, dass die Galeone früher als erwartet in den Hafen geschleppt werden sollte. Reger Verkehr mit Beibooten zwischen Schiff und Zollgebäude deuteten schon in den letzten zwei Tagen eine Änderung der Situation an.
Einen Tag danach hatte ich Sicherheit. Die verhängte Quarantäne wurde überraschend aufgehoben. Der Herzog von Nájera hatte wohl seinen ganzen Einfluss in die Waagschale geworfen. Daher stand ich schon im Morgengrauen des 19. Januar erwartungsvoll an der Pier É
Kaum war ich heran, hatte ich den Geschmack des Meeres auf der Zunge und den Geruch von Fischblut in meiner Nase. Da, wo gestern noch ein schwimmender Markt von riesigen Tunfischen bis hin zu absonderlich stachligen Kreaturen und kriechenden Krebsen zu sehen war, dehnte sich nun ödes, feuchtes, glitschiges Pflaster. Alle Waren waren verpackt, das Gewimmel der Händler war verschwunden. Klagend zerriss der Schrei einer Möwe die morgendliche Stille.
Angestrengt lauschte ich hinaus auf das Wasser. Das Hafenbecken war ein öder Ballsaal, und mir war, als würde der leise Hauch von Wind hie und da ein Gespenst darin zum Tanz einladen. Gespenstisch war auch der Anblick, als dunkle Punkte auf dem Wasser in der Ferne zu schweben schienen. Wie Käfer, die über Wasser krabbelten, empfand ich wenig später die Szene, als ein halbes Dutzend geruderter Boote aus dem Morgendunst heraus über das ruhige, glatte Wasser auf mich zukrochen. Die Männer darin leisteten Knochenarbeit. Die Schleppleinen, straff gespannt, verloren sich im Nichts. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 07.03.2005