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Arvato wird
zum »Rathaus«

Vertrag mit englischem Landkreis

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Die Bertelsmann-Tochter Arvato AG übernimmt eine komplette Kreisverwaltung. Die englische Gemeinde East Riding im Bezirk Yorkshire überträgt Arvato unter anderem den Einzug lokaler Steuern, die Auszahlung von Subventionen und Beihilfen, die Abrechnung von Löhnen und Gehältern.
»Ein Meilenstein für unsere Geschäfte in Großbritannien«: Arvato-Vorstand Rolf Buch.
Basis dieser öffentlich-privaten Partnerschaft (public-private-partnership, ppp) ist ein auf acht Jahre vereinbarter Vertrag, nach dem Arvato 500 Mitarbeiter der Verwaltung übernimmt. Das Personal wird zu bestehenden Konditionen beschäftigt , die Mitarbeiter behalten auch ihre bisherige Altersvorsorge im East-Riding-Pensionsfonds. Teil des Vertrages ist ein Leistungskatalog, der eine hohe Qualität der erbrachten Dienstleistungen sichern soll. Außerdem gründen Arvato und East Riding ein »Joint Venture«, um private und öffentliche Dienstleistungen in ganz Großbritannien anbieten zu können - dadurch sollen in East Riding neue Arbeitsplätze entstehen. Fest vereinbart ist bereits der Bau eines regionalen Geschäftszentrums für den öffentlichen und privaten Sektor. In diesem Zentrum sollen in den kommenden vier Jahren 900 neue Arbeitsplätze entstehen.
Zwei Jahre dauerten die Verhandlungen zwischen Unternehmen und Gemeinde - am Ende stimmte der Rat von East Riding mit einer Mehrheit von 44 zu 13 Stimmen zu. Für Rolf Buch, Vorstandsmitglied der Arvato AG, ist der Vertrag von East Riding »ein entscheidender Meilenstein für den Ausbau unseres Dienstleistungsangebotes in Großbritannien.« Auch der Bürgermeister und der Verwaltungschef von East Riding sind zufrieden. Arvato erfülle als einziger Bewerber alle Ziele, die von der Gemeinde mit diesem Projekt verfolgt würden. »Wir glauben, dass dies eine bahnbrechende Partnerschaft ist, die unserer Gemeinde ein außergewöhnliches Potenzial für die Zukunft bietet«, sagt Verwaltungschef Darryl Stephenson.
In Deutschland wäre solch ein Vertrag auch möglich, meint Günther Tebbe, Experte für öffentliche Verwaltungen bei der Gütersloher Bertelsmann Stiftung: »Nur ist hier noch niemand so weit gegangen wie die englische Gemeinde.« Das britische Arbeitsrecht erleichtere solche Verträge. Unkündbare Beamte und Angestellte gebe es dort nicht. Grenzen setzten allein hoheitliche Aufgaben wie öffentliche Sicherheit oder das Ausstellen von Pässen - solche Tätigkeiten könnten nicht von Privatunternehmen übernommen werden. Die Vergabe etwa der gesamten Verwaltung von Beihilfen wie in East Riding entlaste eine Kommune enorm: »Das ist ein großer Brocken. Wichtig ist nur, dass die Gemeinde die Steuerungs-Kompetenz behält. Sie bleibt Ansprechpartnerin für ihre Bürger, auch wenn sie einzelne Aufgaben vergibt.«

Artikel vom 17.02.2005