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Mit dieser Sintflut konnte niemand rechnen. Nicht in dieser kurzen Zeit, Señor Velázquez.« Valdes' Stimme verrät Furcht. Er saugt kurz die Luft durch die Nase, gibt ein Räuspern von sich, als wolle er damit den miserablen Tag verfluchen.
»Seht Euch das an«, sagt Valdes und zeigt nach Osten. Vorsichtig führen wir die Pferde an die Böschung heran. »Flussaufwärts hat sich ein neuer See gebildet. Hier bei der Furt verengt sich das Flussbett wieder. Das Wasser schießt mit einer solchen Gewalt durch die Engstelle, dass es alles mitreißt, was Widerstand bietet.«
»Lasst uns den Weg hinabgehen. Prüfen wir den Übergang«, rufe ich ihm zu.
Wir sitzen ab. Noch spüre ich einen Funken Hoffnung in mir. Schritt für Schritt folge ich Valdes. Schon die ersten Tritte, hinab auf dem schlammigen Weg, rutschen wir mehr, als wir gehen. Auf halber Distanz bleibe ich stehen. Ich traue meinen Augen nicht. Inmitten der reißenden Schlammfluten, dort, wo sich die sonst flache Furt befindet, bringt der Übergang das Wasser zum Explodieren. Eine gewaltige Welle schießt empor und bricht sich dahinter zu einer alles verschlingenden, donnernden Wasserwalze. Lehmbrocken, größer als die Fantasie es sich ausmalen kann, werden heraufgeschleudert, als würden sie so wenig wie ein Strohballen wiegen. Einen Augenblick später löst sich ein riesiges Stück Uferböschung unterhalb unseres Standplatzes. In das klaffende Loch eines halben Hauses schießt das Wasser nach und reißt sofort weiteres lockeres Material mit sich. Ein Anblick, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
»Großer Gott!«, brüllt Valdes, »Seht doch!«
»Zurück!«, schreie ich. Der halbe Hang droht nachzurutschen. Gischt hüllt uns ein, als ein weiteres riesiges Stück abzubrechen beginnt. Auf allen vieren, so schnell wie können, krabbeln wir wieder nach oben. Angekommen, dirigieren wir sofort die Pferde und das Gespann von der gefährdeten Böschung weg. Seite an Seite verfolgen nun auch Sanchez und Giuliano stumm, wie ein riesiges Stück Hang hinunterdonnert, und sehen schaudernd, wie die Erdmassen vom Strom zermalmt und weggetragen werden. Kurz darauf entdecken wir ein ganzes Knäuel immergrüner Bäume, die das Wasser offenbar einem Hang flussaufwärts entrissen hat und das nun auf die Engstelle zutreibt. Mit furchtbarer Gewalt fegt es über die riesige Wasserwalze der Furt hinweg. Die Flut hat eine derart zermalmende Kraft, dass selbst größere Schiffe, Brücken oder gar Häuser gnadenlos zerdrückt worden wären.
Nach diesem Furcht erregenden Schauspiel erübrigt es sich, das Für und Wider abzuwägen. Ein Weitermarsch würde für uns alle den sicheren Tod bedeuten, denn sollte auch nur einer von uns das Inferno Guadalquivir überleben, wie sollte er danach, bei diesen widrigen Bedingungen, auch nur eine einzige Meile weiterkommen?
Eine Handbewegung von mir genügt. Jeder hat sie sehnlichst erwartet. Die unbarmherzige Natur hat gesiegt, und ich will sie nicht durch eine grobe Fehlentscheidung zum alles entscheidenden Schlag gegen uns herausfordern.
Für den Rückweg zur Casa del Rey Moro benötigen wir die doppelte Zeit, da der Weg stetig ansteigt und der morastige Boden immer tiefer wird. Völlig erschöpft und halb erfroren, kaum in der Lage, die Beine zu bewegen, erreichen wir die Herberge, die uns mit einem Mal wie das rettende Paradies erscheint. Die Knechte des Hauses führen die Pferde in die Ställe und versorgen sie, während wir uns in das königliche Moriskenhaus hineinretten.
Die ganze Sippe sitzt vor der Feuerstelle in einem Halbkreis und isst gemeinsam aus ein und derselben Schüssel. Sie bedienen sich der Hände. Ich meine Hunde oder Schweine fressen zu hören. Der Wirt trinkt genüsslich seinen Becher leer und grinst uns danach mit glasigen Augen an. Was dann geschieht, bringt mich einem Wutausbruch nahe. Plötzlich verlangt er die fünffache Summe von mir, um die dreckigen Zimmer wieder belegen zu dürfen. Ich sehe mich kurz um. Am Eingang, links und rechts der Feuerstelle und auch am Durchgang zu den hinteren Räumen, stehen seine Knechte mit armdicken Knüppeln in den Fäusten.
Wir werden bezahlen müssen oder an diesem elenden Fluss verrecken, geht es mir durch den Kopf. Mich fröstelt, und ich spüre, wie meine Kräfte zu schwinden beginnen. Wenn auch voller Wut über die Hoffnungslosigkeit einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit dem Lumpenpack, nicke ich Valdes zum Zeichen meiner Einwilligung stumm zu.
Kaum auf das Lager gestreckt, spüre ich, wie mir Nase und Rachen zuschwellen. Im fiebrigen Dämmerschlaf sage ich voll Verbitterung mit krächzender Stimme zu Esquivel: »É und hier in dieser elenden Kammer verpassen wir endgültig unsere Reise nach Rom É«
16. Dezember 1648

A
ceite de oliva, todo mal quita!«, ruft Sanchez hoch oben auf dem Bock.
Wenn Olivenöl tatsächlich in der Lage ist, jede Krankheit zu vertreiben, dann müssten wir allein schon vom Anblick der meilenweiten Ölbaumgärten rings um Jaén endgültig gesunden É
Die Hustenseuche in der Casa del Rey Moro hatte niemanden verschont. Der starke Westwind und der eiskalte Regen hatten uns unbarmherzig auf das Krankenlager niedergestreckt. Die Besitzer schliefen rund um die Feuerstelle auf Strohlagern am Boden, da es keine weiteren Betten im Gasthof gab. Vom Öllämpchen an der Wand beleuchtet, eingewickelt in schwarze Umhänge, nächtigten sie auf dem Steinboden wie ihre Ahnen vor vielen tausend Jahren.
Die Ausscheidungen meines Überschusses an Feuchtigkeit durch Augen und Nase, den Gaumen und die Kehle waren beträchtlich. Kopf-, Nacken- und Kreuzschmerzen peinigten mich wie noch nie in meinem Leben. Dazu fror ich entsetzlich. Ich ließ mir an Kleidungsstücken alles anlegen, was in meiner Reisekiste verfügbar war. Aber die Linderung war gering. Am vierten Tage nisteten sich die Schmerzen in Muskeln, Knochen und Gelenken ein. Das Leiden wollte kein Ende nehmen. Ich wusste von Anfang an, dass die Enge des Schlafraumes meine Genesung verzögern würde. Waschen konnte man sich überhaupt nicht. Alles war ungewiss, nur das Heer herumkrabbelnder Wanzen blieb stets unverändert. Doch die strikte Gebundenheit an diesen erbärmlichen Ort erlaubte keine Wahl. Schwäche und Appetitlosigkeit gesellten sich hinzu. Wir fasteten zusammen. Obendrein wuchs meine Angst, in dieser schmutzigen Absteige der Schwindsucht zu verfallen. Meine Sorge um das Scheitern der Mission geriet dabei völlig in den Hintergrund É
Die schweren Regengüsse hatten am dritten Tag aufgehört, und die nasskalte Witterung wich etwas milderer Luft. Mein Fieber dagegen schwand erst nach dem sechsten Tage. Juan dagegen, der uns anfangs noch mit eigenen Mixturen und Kräuterabkochungen versorgte, war der Letzte von uns, den ein Krampfhusten packte. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 26.02.2005