17.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Duncan fiel es nicht schwer, die Augen geschlossen zu halten, während gleichzeitig Bob Dylans Stimme mit »The answer, my friend, is blowinÕ in the wind É« im Hintergrund ertönte.
»É ich sitze vor dir, du hältst mit der einen Hand die Zügel, mit der anderen umfasst du meine nackte Taille É«, hörte er Livias sanfte Stimme an seinem Ohr.
Duncan hatte nicht bemerkt, dass sie inzwischen aufgestanden und zu ihn getreten war, um sein Glas erneut mit Wodka zu füllen. Er blinzelte. Ein Träger war ihr über die Schulter gerutscht, während sie in lasziver Haltung begann, den Wodka auszugießen. Mit der Selbstsicherheit einer Prinzessin hob sie wie selbstverständlich ihr linkes Bein und stellte es aufreizend auf die Kante des Korbstuhls. Derart betört, das angenehme Prickeln des Champagners in der Blutbahn, aufgemischt mit Wodka, ließ er seine Hand an der Innenseite ihres Schenkels emporgleiten und machte erst am Saum ihres engen, kurzen Kleides Halt. Noch hielt sie seinem Blick stand, obwohl ihr Puls immer schneller pochte.
Der Griff um ihre Taille ließ sie unwiderruflich auf seinen Schoß sinken. Ihre vollen Lippen suchten und fanden die seinen. Ihr Körper bog sich weich unter seinen festen Händen. Es fiel ihr schwer, das Gleichgewicht auf seinem Schoß zu halten.
Duncans Hände glitten an ihr entlang, als würde ihm etwas genommen. Eine Windböe ließ ihn fast gleichzeitig empor zum Himmel blicken. Es war inzwischen drückend schwül geworden. Eine ungeheure dunkle Wolke zog am Himmel herauf, und aus der Ferne tönte schwaches Donnergrollen.
»Oh! Ein Gewitter zieht heran.« Livia rutschte von seinem Schoß und begann eilig, den Tisch abzuräumen. Duncan saß wie benommen da.
»Wenn du die Korbstühle in Sicherheit bringst, dann nehme ich das Tablett«, rief sie ihm zu.
Der Donner kam näher, es erhob sich ein Wind, und kurz darauf fielen die ersten Regentropfen. Sie waren inzwischen durch alle Zimmer im Untergeschoss gelaufen, um die Verschlüsse der Fenster und Türen zu prüfen. Es war schummrig geworden im Haus. Nachdem alle Fenster geschlossen waren, standen sie sich im Halbdunkel des Flurs gegenüber. Die Luft war zum Schneiden; in der Schwüle kam Livias schweres Parfüm voll zu Entfaltung. Ihm war, als hörte er ihren rasenden Pulsschlag. Plötzlich trug er sie auf seinen Armen.
»Wo befindet sich dein Zimmer?«, keuchte er.
»Die Treppe hinauf, geradeaus É«, wisperte sie zurück.
Ihr war, als nähme er trotz ihres Gewichtes zwei Stufen auf einmal. Blitze zuckten. Mit dem Ellenbogen drückte er die Klinke runter. Die großzügige Liegefläche des Bettes war nicht zu verfehlen. Zuerst beugte er sich über sie, streifte beide Träger ab, rollte sie auf die Seite und fand zielsicher den Reißverschluss. Wenig später lag sie nackt auf glatter Seide. Ein Blitz enthüllte ihm ihre verlockend vor ihm ausgebreitete Schönheit. Sie hatte das Gefühl, als würde er sie mit seinen Augen geradezu verschlingen. Er sah sie an wie ein Fischer eine soeben gefangene Auster, begierig, darin nach Perlen zu suchen. Es war Zeit, selbst die Initiative zu ergreifen. Sie begann ihn zu entkleiden. Endlich lag sie Haut an Haut mit ihm.
Duncan schlug die Augen auf. Er drehte sich vorsichtig um. Livia hatte sich auf die Seite gerollt. Er betrachtete genüsslich ihre Schulter, Rücken, Hüfte und Gesäß im sanft schimmernden Nachmittagslicht. Seine Augen streiften die Linie ihrer Wirbelsäule entlang. Obwohl es ihn danach verlangte, vermied er es, sie zu berühren. So sehr fühlte er sich von den harmonisch fließenden Linien ihres Rückens inspiriert, dass er fast mit den Fingern geschnippt hätte.
Ist das ein Zufall oder eine höhere Eingebung, fragte er sich stumm. Gleich darauf unternahm seine Vorstellung eine seltene Synthese: die Verschmelzung eines idealen Bildes aus seiner Erinnerung mit der Sinnlichkeit des lebendigen Körpers É
Behutsam rutschte er vom Bettlacken und ging davor in die Hocke. Kein Zweifel! Den Oberkörper über ein fülliges Kissen gelegt, die Arme darauf abgestützt, und schon liegt meine Livia da wie VelázquezÕ Venus, ging es ihm durch den Kopf. Die glättenden Polster unter der Haut, die zarte Andeutung von Knochen und Sehnen É
Als ob sein Lehrer und Gönner Ruhemann neben ihm stehen würde, hörte er jenen sprechen. Es war die letzte Begegnung mit ihm, als sie am Tag vor seiner Abreise das Aktgemälde noch einmal in seinem Atelier zusammen betrachteten: »Sehen Sie, junger Freund. Velázquez hat die Schönheit des Bildeindrucks bei der Geometrie entliehen. Aber er hat sie verständnisvoll eingesetzt. Nie sind die Umrisse eines Frauenkörpers konkav, im Gegenteil: Sie wölben sich nach außen! Sie spannen sich nach außen wie ein Korb. Die Dame hier ist so lebendig, wie von innen heraus erlebt, vielleicht deshalb, weil Velázquez mit seinem Modell ein zärtlich liebendes Verhältnis verband É«
Tatsächlich, Velázquez musste sie genauso hingegossen gesehen haben. Ruhemann vermutete richtig. Vielleicht hatte der Meister sein Modell mit so gelösten Sinnen gemalt, wie ihm dies nur nach einem Liebesspiel eingegeben war.
Während Duncan seinen Fantasien nachhing, rollte sich Livia auf seine Seite. »Was machst du da?«
»Ich sehe dich an. Du hattest im Schlaf unbemerkt fast die Positur unserer Venus eingenommen.«
»So, sooo É! Komm sofort zurück ins Bett!«
Livias Haltung hatte in diesem Moment verblüffende Ähnlichkeit mit der Vorderansicht des Aktgemäldes, das sie vormittags in Canovas Wohnhaus entdeckt hatten. »Bleib so! Ja, bleib so liegen!«, rief Duncan begeistert.
Doch sie ging nicht auf ihn ein, sondern packte ihn am Arm. »Komm zu mir, du Flüchtling!«, rief sie fröhlich. Duncan ließ sich über sie fallen und fing an, sie zu kitzeln. Ausgelassen quietschte Livia in höchsten Tönen, bis sie kaum noch Luft bekam.
»Oh, das wirst du mir büßen!«, rief sie vergnügt und begann damit, Duncans Körperstellen ausfindig zu machen, auf die er ebenfalls mit Gekicher reagierte. Als sie sich gründlich revanchiert hatte, schlug Livia vor, sich an dem Asti Spumante zu ergötzen.
»O ja! Mein Mund ist ganz trocken. Ich komme mit dir É«, rief Duncan und schickte sich an aufzustehen.
Sanft stieß Livia ihn zurück in die Kissen. »Ruh dich aus, mein Geliebter. Mars braucht Ruhe. Hier ist Venus die Herrin É«
Duncan rollte sich auf die Seite, besah sich den verkrumpelten seidenen Überwurf und versuchte die Hügel und Täler darin einzuebnen. »Ich werde inzwischen unser Lotterbett richten É«
»Wird sich kaum lohnen!«, sagte Livia, schwebte als nackte Eva quer durchs Zimmer und schnappte sich ihren Bademantel.
Während sie nach unten eilte, drapierte Duncan mit Kissen und dem seidenen Überwurftuch ein in der Form anderes, doch lauschiges Lager. Als er kurz darauf sein Werk besah, strahlte sein Gesicht Zufriedenheit aus. Er sah sich im Zimmer um. Ein Spiegel weckte sein Interesse, der an der gegenüber liegenden Wand hing. Behutsam nahm er ihn ab und ging damit zum Bett. Sodann probierte er einige Winkelstellungen zu der Erhöhung des Kopfendes aus, die er durch die darunter gestapelten Kissen erzielt hatte.
Kurz darauf hörte er Livia wieder die Treppe hochkommen. Die Tür war nur angelehnt. Er hielt den Spiegel aufrecht und blickte zum Eingang. Langsam öffnete sich der Spalt. Zuerst sah er ein Tablett mit einer Flasche und zwei Gläser darauf, das von einer zierlichen Hand balanciert wurde. Danach erschien ein nacktes Bein bis zum Schenkel, dessen Fuß wie in einem klassischen Ballett nur mit den Zehen auf dem Boden gesetzt wurde. Unversehens spürte Duncan wieder die erotische Spannung zwischen sich und dem, was er an Enthüllung geboten bekam.
»Du bist eine kleine Teufelin É«, rief er, als Livia mit ihrem Bein akrobatisch zu schwingen begann.
»Der Teufel hat Gewalt, sich zu zeigen in schöner Gestalt!«, erwiderte sie bühnenreif und stieß die Tür ganz auf. Duncan betrachtete Livia genüsslich, wie sie das Tablett auf einem kleinen Beistelltisch platzierte und begann, die Gläser zu füllen.
»Was hast du mit dem Spiegel vor?«, fragte sie.
»Ich hoffe, wir werden in ihm etwas entdecken, was wir noch nicht wissen.«
Livia reichte ihm sein Glas und schmiegte sich wie ein Katze an seinen Rücken. »Hast du etwa noch nicht alle Geheimnisse an mir entdeckt?«
Duncan drehte sich um, legte seine freie Hand um ihre Taille, küsste ihre Nase und stieß mit seinem Glas an das ihre. »In des Spiegels heller Klarheit sehen wir die reine Wahrheit É«
»Oh! Das reimt sich aber schön É«
»Hab ich so ähnlich irgendwann mal gehört.«
»Jetzt bin ich aber neugierig. Welche Wahrheit gilt es denn zu entdecken?«, insistierte Livia.
»Es gilt VelázquezÕ Spiegelgeheimnis aufzudecken.«
»Aufzudecken?«
»Ja, Velázquez hat der Welt mit seinen Spiegelbildern ungelöste Rätsel aufgegeben. Vielleicht können wir zusammen eines davon entschlüsseln«, sagte Duncan und nahm ihr das Glas aus der Hand. »Was fällt dir an dem Bett auf?«
»Du hast daran gearbeitet, wie ich sehe.«
Duncan ging auf die andere Seite und stellte die Gläser ab. »Komm bitte hier herüber.«
Livia trippelte zu ihm. »Und nun?«
Duncan nahm sie in seine Arme und blickte ihr in die Augen. »Mir ist da eine Idee gekommen. Hast du Lust, ein Gemälde nachzustellen?«
»Ich habe auf alles Lust, solange es der Recherche nützt É«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.02.2005