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Kanada Musterfall für Reform und Integration

OWL-Liberale von diesem Gesellschaftsmodell angetan

Von Dirk Schröder
Bielefeld (WB). (WB). »Groß, jung, verschiedenartig, extrem und verändernd.« Mit diesen fünf Worten hat der Gesandte der kanadischen Botschaft in Berlin, Robert Vanderloo, den flächenmäßig zweitgrößten Staat der Erde beschrieben, der in den vergangenen 20 Jahren geradezu radikale Veränderungen durchlaufen hat.

Beim traditionellen Grünkohl-Essen des FDP-Bezirks Ostwestfalen-Lippe wies der Diplomat in Bielefeld darauf hin, dass Kanada mit seinen sechs Zeitzonen über so vielfältige Beziehungen verfüge wie kein anderes Land. Vanderloo sprach von großen Herausforderungen, die die Größe Kanadas mit sich bringe, aber auch von den Vorteilen. So sei das Land seit den frühesten Tagen eine pluralistische Gesellschaft. Er nannte Kanada auch ein sehr junges Land. So wurde dem Nachbarstaat der USA erst 1931 das Recht übertragen, eigene Außenpolitik zu gestalten.
Jung sei das Land aber auch durch die Einwanderung. Die Menschen in Kanada könnten sich in die Gefühle und Herausforderungen hineinversetzen, die Neuankömmlinge in Kanada erlebten. Vanderloo: »Wir haben ein differenziertes System der gesellschaftlichen Integration, das neue Einwanderer schnell mit einer der beiden Amtssprachen - englisch und französisch - vertraut macht, sie über Gesetze des Landes informiert, einen Überblick über das Schulwesen verschafft, und sie dazu ermuntert, aktiv am politischen Leben teilzunehmen.« So sind beispielsweise 47 der 320 Parlamentsabgeordneten nicht in Kanada geboren.
Der Gesandte, 1958 selbst als Achtjähriger mit seinen Eltern aus den Niederlanden eingewandert, verhehlte nicht, dass dieser Anpassungsprozess nicht immer reibungslos verlaufen sei. Doch letztlich aufgrund der toleranten Gesellschaft des Landes erfolgreich gewesen sei. Vanderloo: »Der konstante Strom von Einwanderern schuf eine dynamische Gesellschaft, in dem größtenteils nicht die Klassenvorurteile der Länder herrschen, aus den viele Kanadier ursprünglich kamen.«
Der Diplomat präsentierte Kanada aber auch als ein Land der Extreme. Temperaturen, die im Laufe des Jahres um 90 Grad schwanken können, von minus 50 bis plus 40 Grad. Geographische Formationen, die von den Fjorden Neufundlands, den Ebenen der Prärien über die ständige Frosttundra des Nordens und die Rocky Mountains bis hin zu den größten Süßwasserseen der Welt und der Wüste des Okangan. Bekannt ist Kanada als traditionell bedeutender Rostofflieferant. Doch ist das Land heute ein ebenso bedeutender Produzent von Hochtechnologie. Vanderloo: »Die Unterschiede und Extreme haben das Land gestärkt. Sie haben uns gezwungen, neue Technologien zu erforschen.«
Der Gesandte wies schließlich auf die großen Veränderungen hin, die Kanada gerade in jüngster Zeit durchlaufen habe. So sei die Reformphase Mitte der 90er Jahre eine Zeit der Opfer und Entbehrungen für die meisten Bürger gewesen. Doch seien die Reformbemühungen letztlich erfolgreich gewesen. In nur vier Jahren habe es Kanada geschafft, sein damaliges Haushaltsdefizit von sechs Prozent auszugleichen. Nach nunmehr sieben Jahren mit Haushaltsüberschüssen hätten die Kanadier wieder innen- und außenpolitischen Handlungsspielraum zurückgewonnen, berichtete der Diplomat nicht ohne Stolz. »So gestärkt setzen wir uns nun auch stärker für eine verantwortungsvolle Rolle in der Welt ein.«
Unabhängig von Meinungsverschiedenheiten ist es für das Land heute von entscheidender Bedeutung, das Dreieck Kanada - USA - Europa mitzugestalten und zu pflegen. Vanderloo: Das tragende Fundament der Gemeinschaft sind die gemeinsamen Wertvorstellungen - Demokratie, Multilateralismus und gegenseitiger Respekt. Vanderloo setzte sich zudem dafür ein, die Möglichkeiten er Zusammenarbeit mit Deutschland noch stärker auszuschöpfen. Wert legte der Diplomat aber auch darauf, festzuhalten, dass Kanada keinesfalls US-amerikanisch sei, auch wenn dies von Europa aus auf den ersten Blick so aussehen mag. Vanderloo: »Die Amerikaner streben nach Leben, Freiheit und Glück. Die Kanadier nach Frieden, Ordnung und verantwortungsvoller Staatsführung« Die kanadische Gesellschaft nähere sich mitnichten der amerikanischen an. Eher sei das Gegenteil festzustellen.

Artikel vom 07.02.2005