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Kapriolen rund um den Buddha von Bielefeld

Heftiger Applaus zur Uraufführung von »Luhmann«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Die Welt mag uns fremd erscheinen, wenn wir durch die Brille des Soziologen lugen. Im Theater dagegen wird das Leben bunt, witzig und poetisch. Mit großem Erfolg ist am Samstag im TAMoben das Stück »Luhmann« uraufgeführt worden.

Nicht als Figur im ihm gewidmeten Stück taucht der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann (1927-1998) auf, aber seine Ideen, so spröde sie im Original anmuten, lassen auf der Bühne erst ihren ganzen fesselnden Hintersinn und ihre irritierende Doppelbödigkeit erkennen. Die Kunst reicht der Wissenschaft ihre helfende Hand, und der weltweit bekannte Erdenker der Systemtheorie revanchiert sich posthum mit Ideen, die dem Stück klare Struktur verleihen.
Aus dem Text des Berliner Autors Tom Peuckert (42) hat Regisseur Patrick Schimanski unterhaltsame Szenen montiert, die mehr sind als die sonst auf deutschen Bühnen zusammengestöpselten Collagen: ein Panorama der Gesellschaft, ein Werk aus einem Guss. Colin Walker gestaltet das TAMoben als Hörsaal und Kampfarena zugleich, in die vier Akteure, Stieren gleich, einmarschieren: Heute wollen wir mal die Welt auf die Hörner nehmen. Und die Sozilogie schwenkt ihr rotes Tuch.
Rot sieht vor alllem Gerd Stüve. Der »klassische Linke«, bis in die feinste Geste umwerfend interpretiert von Stefan Hufschmidt mit Zauselhaar und Klampfe, wütet gegen den emotionslosen Beobachter Luhmann, dessen Distanz zum eigenen Sujet so groß ist, dass er selbst Stüves vermurkste Dissertation an der Prüfungskommission vorbeiwinkt. In Erinnerung halb vergessener Heldentaten wie Mehltütenwürfe im Seminarraum beschwört Hufschmidt die »Children of the Revolution« (den Pseudo-Aufmupf à la »T.Rex«) und nuschelt mit Dylan, dass nix mehr is' wie früher.
Ja, »The Times they are a-changing«, aber der Professor Luhmann gefiel sich ganz unverdrossen in der Rolle des Buddhas von Bielefeld. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren - selbst die tollste Utopie hat er sphinxisch zu Tode gelächelt.
In wechselnden Rollen klettern derweil Nicole Paul, Oliver Baierl und Harald Gieche durch die Klüfte der Gesellschaft, sezieren Ausländerhass, Geschlechterkampf und Terroristenfurcht. Aber keine Angst, es tut nicht weh. Das äußerst lebhafte Trio kapriolt sektglasschwenkend durch die Schickimicki-Galerie, geht einkaufen, fährt ICE oder mampft BigMac. Darauf einen Caipi.
Wer nie verstanden hat, warum jedes »psychische System« (Individuum) ganz unterschiedliche Phänomene in einunddemselben »sozialen System« (menschlichen Miteinander) zu erkennen glaubt, den macht das TAMoben schlau: Es ist alles eine Frage der Perspektive.
Banal ist alle Theorie. Eben. Schön, dass uns die Poesie manchmal Flügel verleiht, auf dass wir uns über diese Flachheit erheben dürfen. Wie bei »Luhmann«. Die Soziologen im TAMoben jedenfalls lachten herzlich. Wann je hätte man sie in ihren Studierstuben auch nur lächeln sehen? Niklas natürlich ausgenommen . . .

Artikel vom 07.02.2005