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Luftgeschäfte
mit Altmetall

Steuerfahnder bei zehn Firmen

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Die Steuerfahndung Bielefeld ermittelt gegen mehr als zehn Schrott- und Metallhandelsfirmen in Westfalen. »Sie sollen den Staat mit Luftrechnungen um eine mindestens zweistellige Millionensumme betrogen haben«, sagte am Freitag ein Sprecher des Finanzamtes für Steuerstrafsachen. Einen Fuß haben die Fahnder bei den Firmen bereits in der Tür: Ein »Kronzeuge« hat in dieser Woche ausgepackt.
Anwalt Peter Wüller: »Das ist ein Sumpf.«

Die Masche der Tatverdächtigen ist nicht neu und schon in anderen Branchen erprobt: Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen einkaufen, können sich die auf den Rechnungen ausgewiesene Mehrwertsteuer vom Finanzamt auszahlen lassen. Wenn nun eine Firma einer anderen eine Rechnung schreibt, obwohl gar keine Ware geliefert worden ist, und der Empfänger diese Luftrechnung beim Finanzamt vorlegt, bekommt er die 16 Prozent Mehrwertsteuer »erstattet« und beteiligt den Aussteller der Scheinrechnung am Gewinn. »Das ist die schlimmste Form der Steuerhinterziehung«, sagt Oberstaatsanwalt Klaus Pollmann aus Bielefeld. »Bei einer normalen Steuerhinterziehung wird dem Staat Geld vorenthalten. In diesem Fall jedoch stehlen die Täter förmlich Millionen aus den Kassen der Allgemeinheit.«
In Hamburg waren Steuerfahnder auf drei Scheinfirmen der Schrottbranche gestoßen, die jahrelang Luftrechnungen verschickt haben sollen. Als Empfänger wurden neben anderen auch Altmetallhändler in Westfalen ermittelt, die nun von der Steuerfahndung Bielefeld durchleuchtet werden.
Die erste Festnahme erfolgte am 20. Januar auf dem Flughafen Düsseldorf. Dort wurde Unternehmer Thorsten A. (34) aus Harsewinkel gefasst, als er gerade geschäftlich nach Russland fliegen wollte. Sein Metall- und Entsorgungsunternehmen hatte dem Finanzamt Gütersloh für 2002 einen Umsatz von 60 Millionen Euro gemeldet. Die darin enthaltenen 16 Prozent Mehrwertsteuer (9,6 Millionen Euro) hatte sich Thorsten A. auszahlen lassen »obwohl 80 Prozent seines Umsatzes aus Luftgeschäften bestanden haben«, wie ein Ermittler sagte. Der von den Fahndern errechnete Schaden soll allein in diesem Fall 7,7 Millionen Euro betragen.
Thorsten A. hat in der Untersuchungshaft nicht nur ein Geständnis abgelegt, sondern sich bereit erklärt, das komplizierte und bis ins europäische Ausland reichende Geflecht von Firmen und Scheinfirmen für die Staatsanwaltschaft zu entwirren. Im Gegenzug ist der zweifache Familienvater am Donnerstag gegen Auflagen aus dem Gefängnis entlassen worden
»Insgesamt sind mehrere Dutzend Firmen der Schrottbranche an diesem Umsatzsteuerbetrug beteiligt«, sagte Rechtsanwalt Peter Wüller aus Werther, der Thorsten A. vertritt. Sein Mandant bereue die Tat zutiefst. Er sei »in den Sumpf hineingezogen« worden, erklärte Wüller: »Es gab Verbindlichkeiten, und als er nicht zahlen konnte, hieß es: Entweder du bringst das Geld, oder du machst bei unserem Steuerbetrug mit.«

Artikel vom 29.01.2005