19.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mit 30 Sachen über die Alpen
Am Tegernsee begann vor 50 Jahren die Geschichte der Isetta - als »Knutschkugel« bis heute heiß geliebt
Über sowas lachte man in den 60er-Jahren: Was war das erste Auto? Die Isetta natürlich. Wieso? Na, die wird doch schon in einem alten Kirchenlied besungen: »Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...«
Nun ja, ein Auto, das aussieht wie eine Knutschkugel mit gerade mal einer Sitzbank für zwei, ein Auto mit nur einer Tür, die sich zudem mitsamt Lenkrad und -gestänge nach vorne öffnet, dass musste sich eben auch ein paar Scherze gefallen lassen. Doch die waren allesamt liebevoll gemeint. Und geliebt wird die Isetta noch immer. Vor 50 Jahren wurde sie vorgestellt. Sie half dem Autobauer BMW aus einer schweren Zeit.
Zugegeben: Nach heutigen Erkenntnissen würde man sich den Zweisitzer, damals als »Motocoupé« angepriesen, wohl kaum ins Haus holen. So originell die Fronttür auch war - Crashtest-Dummies liebten sie gar nicht, auch wenn das obligatorische Falt-Schiebedach als Notausstieg konzipiert war. Doch die Zeiten waren eben andere. Und für dergleichen »Petitessen« wie das Fehlen einer Knautschzone hatte man damals wenig Verständnis.
Man dachte vorwärts. Man wollte fahren und nicht nass werden. Mit der Isetta ging das bereits für 2850 Deutsche Mark (in Euro: knapp 1400!) fürs Neufahrzeug mit zwölf PS vergleichsweise flott. Gut 80 Sachen machte der luftgekühlte Zweihundertfünfziger, aus dem BMW-Motorradbaukasten übernommen, auf flacher Piste. Doch er schaffte sogar den Großglockner! So wurde das gerne zweifarbig rot-weiß, gelb-weiß oder blau-weiß ausgelieferte Ei mit schmaler Heckspur zum knatternden Liebling jener Zeit.
Jener Zeit? Ich hör' wohl nicht richtig. Da bemühe man nur einmal seinen Internet-Google: Mehr als 70 000 Eintragungen rund um den Globus gilt es umgehend abzuarbeiten, ist das Stichwort BMW Isetta aktiviert. Und nur Gutes ist da zu lesen...
Selbst bei den Bayerischen Motorenwerken ist man heute wieder ganz vernarrt in diese Episode der Werksgeschichte. Was nicht immer so war. Denn später, als es aufwärts ging, da mochte man in der Luxusautoschmiede nicht mehr so recht mit dem rollenden Winzling aus schlechten Zeiten in Verbindung gebracht werden. Mitglieder des deutschen Isetta Clubs erinnern sich, wie sie in den 70er-Jahren bei Ersatzteilwünschen ausgelacht und vom Hof ihres BMW-Händlers gejagt wurden.
Doch als im Frühjahr 1955 die Isetta am schönen Tegernsee vorgestellt wurde, da hatten die bayerischen Auto- und Motorradbauer veritable Absatzprobleme. Sie brauchten unbedingt etwas »unter« dem »Barockengel«, dem riesigen BMW 501. Weit darunter! Denn allein mit Direktorenwagen, wie dem großen BMW mit Sechs- oder gar Achtzylindermotor, war in Nachkriegsdeutschland kein Geld zu verdienen. Das Volk war bescheiden, die Kleinwagenwelle rollte auf ihren Höhepunkt zu. Damit war Umsatz möglich!
Woher nehmen, wenn nicht stehlen, fragten sich die Verantwortlichen in München, die auch vor dem Krieg nichts Kleines produziert hatten, auf dem Gebiet der anspruchslosen »Mobile« also zunächst überfordert waren. Bei Iso in Italien fanden die BMW-Leute dann etwas, das sie sich in Lizenz unter den Nagel rissen. Aus der dreirädrigen Iso Isetta aus Turin wurde, modifiziert mit dem besseren eigenen Motorrad-Motor und anderen technischen Details, die vierrädrige BMW Isetta. Und die entwickelte sich zum veritablen Verkaufserfolg. Bis 1962, als das Produkt aufgegeben wurde, liefen 160 000 Exemplare vom Band.
Der Einzylinder war, »dem Wunsch nach mehr Leistung entsprechend«, inzwischen auf 300 Kubikzentimeter aufgebohrt worden. Satte 13 PS standen zuletzt zur Verfügung. Und mit dem von 1957 an gebauten BMW 600 wurde die Isetta gar zur Mutter einer eigenen, von BMW konstruierten Produktlinie. Der 600 hatte zwar noch die Fronttür, bot aber vier Personen Sitzplätze und wurde nunmehr vom Zweizylinder-Boxermotor der »dickeren« BMW-Motorräder angetrieben: Tempo 100 als »Dauerhöchstgeschwindigkeit« war drin.
Der Zweizylinder-Boxer aus dem Motorrad verhalf den Münchnern schließlich im BMW 700 von 1959 an endgültig zur wirtschaftlichen Wende. Der 700er, den es als kleine Limousine, als Sport-Coupé und als Cabrio gab, hatte eine »Schnauze«, seitliche Türen und bildete gewissermaßen die (auch sportlich überaus erfolgreiche) Entwicklungsstufe, die alsbald zu den erfolgreichen Vierzylinder-Modellen BMW 1500, 1600, 1800 und 2000 führte. Man war wieder wer...
Die Isetta hat gleichwohl ihren Platz im Herzen des inzwischen unvergleichbar komfortabler, schneller und sicherer fahrenden Volkes behalten. Wer könnte sich schon dem Charme dieses rasenden Rundstückes entziehen? Der Isetta-Club sorgt dafür, dass es den zahlreichen erhaltenen und liebevoll gepflegten Exemplaren nicht an Ersatzteilen mangelt.
Und wer noch einmal per Isetta durch ein Sommerwochenende pendeln möchte, der findet gar an höchster Stelle die Erfüllung seines Traumes: Die Münchener BMW-Abteilung Mobile Tradition hat eine Isetta 300 von 1962 im Angebot. Liebhaber der Knutschkugel können sie (wie andere historische Fahrzeuge des Hauses) für Ausfahrten mieten.
Dann geht's wieder mit Tempo 30 auf den Großglockner. Wie damals, vor 50 Jahren. Und garantiert niemand in der Schlange dahinter wird hupen. Es sei denn, aus Freude am Wiedersehen! Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 19.03.2005