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Gelähmter Ronny Ziesmer:
»Ich brauche kein Selbstmitleid«

25-jähriger Turner hat nach einem Unfall Lebensmut nicht verloren

Von Oliver Kreth
Berlin (WB). Mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass Turner Ronny Ziesmer in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele bei einem Sprung mit zweieinhalbfachem Salto stürzte. Zwischen dem fünften und sechsten Wirbel erlitt er einen Bruch und schwere Verletzungen an der Wirbelsäule.

Seitdem ist Ziesmer querschnittsgelähmt. Aber sein Lebensmut ist nicht verloschen: »Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen.«
Ronny Ziesmer will studieren. Er will Auto fahren. Er will selbständig leben. All dies wird er eines Tages tun. Schließlich hat er im hartem Training der vergangenen Wochen und Monate gelernt, zu sitzen, Rollstuhl zu fahren, sich die Zähne zu putzen, zu essen und sich anzukleiden.
Und er macht Werbung in eigener Sache. Vor einer Handvoll Fernsehteams und einem Dutzend Reportern im Unfallkrankenhaus Berlin hat er zum Beispiel vor dem 4. Dezember 2004 eine Pressekonferenz gegeben. Der 25-jährige Stabsunteroffizier, der sich bei den Olympischen Spielen von Athen aufschwingen wollte in die Weltklasse der Turner und der statt dessen lernen muss, ohne einsatzfähige Beine und Hände zu leben, hatte da eine neue Mission. Die Erlöse der Turngala Anfang Dezember sollten einer Stiftung seines Namens zugute kommen. Und es wurde ein voller Erfolg. Mehr als 100 000 Euro wurden eingenommen. Später, womöglich nach einem Studium der Ökonomie, soll Ziesmer Geschäftsführer dieser Stifung werden. Die Einrichtung wird verunglückte und in Not geratene Turner unterstützen.
Ronny Ziesmer, 2003 noch deutscher Meister im Mehrkampf, beeindruckt immer noch durch seine Haltung. Ob es ein Kalauer ist oder die Intensität, mit der er seine Therapie angeht, immer ist der Blick nach vorn gerichtet. »Abhaken und Vollgas«, bleibt weiter seine Devise. »Selbstmitleid brauche ich nicht.« Das Schicksal annehmen nennen seine Ärzte diese Einstellung. »Das ist jetzt ein anderes Leben. Aber ich habe nur eines«, sagt Ziesmer. »Vom Kopf her geht es genauso weiter wie vorher.«
Schon als er nach dem Sturz auf dem Boden der Turnhalle in Kienbaum lag, als die Trainer den Rettungshubschrauber riefen und er ein Kribbeln im ganzen Körper spürte, aber das Gefühl in den Beinen verlor, erzählt Ziesmer, »da habe ich mein neues Leben begonnen, da habe ich den Hebel nach vorn gelegt«.
Nach Wochen der Zurückgezogenheit war es sein Anliegen, das Interesse der Öffentlichkeut wieder auf seine Person zu fokussieren. Er wollte von der Solidarität und Hilfsbereitschaft, die ihm aus der ganzen Welt zuteil wird, etwas zurückgeben. Deshalb die Stiftung.
Doch die größte Herausforderung war Ende des vergangenen Jahres ein Besuch bei den Eltern in Cottbus. Abends war er froh, wieder zurück in der Klinik zu sein - voller Hoffnung. »Was ich so erlebt habe«, sagt er, »werde ich die Herausforderung schon meistern.« Und Zeit für einen Kalauer hat er immer noch. Ob er das Turnen weiter verfolgen werde, wird Ziesmer gefragt. Er tut so, als habe er weiterverfolgen verstanden. Und so antwortet der junge Mann im Rollstuhl: »Aktiv nicht mehr so.«

Artikel vom 29.01.2005