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Nie wieder ein Wembley-Tor:
Die Technik hilft beim Treffer

Mikrochips und Funksignal: Digitales Ball- und Spielerortungssystem im Test

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Möglicherweise laufen die Spieler von Arminia Bielefeld schon in der Spielzeit 2005/2006 mit Mikrochips an den Schienbeinschonern auf und treten gegen Bälle, die Funksignale übertragen. Die neue Technik soll Fehlentscheidungen wie die in Wembley 1966 künftig verhindern.
Drin oder nicht drin: Diese Frage sorgt im Fußball oft für Diskussionen. Arminia-Torwart Mathias Hain hätte nichts dagegen, wenn der Einsatz modernster Technik mehr Objektivität ins Spiel brächte.Foto: Büscher
Am 26. Februar steht das digitale Ball- und Spielerortungssystem auf der Tagesordnung der FIFA in Cardiff (Wales). »Wenn die Technik perfekt funktioniert, wäre der früheste Einstieg die neue Saison«, sagte der Sprecher des Deutschen Fußball-Bundes, Harald Stenger.
Der internationale Verband FIFA müsse überprüfen, ob die Technik auf dem Platz umsetzbar ist. Wenn sie zu einem positiven Urteil gelange, werde der DFB, wie die anderen Mitgliedsverbände, das Ortungssystem ausprobieren, sagte Stenger.
War der Ball hinter der Linie? Der Stürmer reißt die Arme hoch, Torwart und Verteidiger schütteln vehement den Kopf, der Schiedsrichter ist unsicher. Wenn der Ball doch sprechen könnte! Bald kann er es, denn das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen hat ihm einen Mikrochip eingepflanzt. Diplom-Wirtschaftsingenieur René Dünkler vom Institut in Erlangen erklärt: »Der Chip sendet Funksignale, die von Antennen empfangen und an einen Zentralrechner weitergeleitet werden. Der Computer ermittelt daraus die Position des Balles.« Mit seinen Kollegen hat Dünkler ein drahtloses Ball-Ortungssystem entwickelt, dessen Prototyp bei einem Spiel der E-Jugend des 1. FC Nürnberg bereits erfolgreich getestet wurde.
Die Frage Tor oder nicht Tor lässt sich mit dem Chip im Spielgerät beantworten, die Frage nach Abseits dagegen nicht. Deshalb empfiehlt Dünkler: »Wenn ich eine komplette Aussage übers Spiel haben möchte, ist es sinnvoll, alle Spieler, den Ball und die Ersatzbälle mit dem Chip auszustatten.« Der elektronische Schiedsrichter ist so groß wie ein Zehn-Centstück, 15 Gramm schwer und so flach wie eine Telefonkarte. Er soll den Spielern hinter die Schienbeinschoner gesteckt werden. Einen Tritt gegen das Bein kann er angeblich verkraften. Dünkler erklärt: »Der Chip ist robust und hält hohe Schockzustände aus.«
Dass es sich beim Ballortungssystem keineswegs um eine Spielerei von Ingenieuren handelt, die partout nicht erwachsen werden wollen, verdeutlicht die Zahl von 7,5 Millionen Euro. Das ist die Summe, die die Firma Cairos Technologies AG in Karlsbad bei Pforzheim für die Entwicklung der exakten Positionsbestimmung von beweglichen Objekten auf dem Fußballplatz nach Erlangen überwies. 2000 entstanden die ersten Studien, 2002 wurde der Prototyp konstruiert, 2003 im Frankenstadion mit der E-Jugend und anschließend auf einem Bolzplatz auf dem Institutsgelände in Erlangen getestet.
Auf die wirtschaftlich lukrative Vermarktung für Fußball und andere Sportarten wie Basketball, American Football oder Eishockey hofft Cairos Technologies. Mit der digitalen Überwachung von Kickern hat man Erfahrung: Zu Cairos gehört die Firma IMP, die Fernsehsender wie Premiere mit Datenbanken versorgt, aus denen hervorgeht, wie viele Flanken jeder Bundesliga-Spieler geschlagen, wie viele Zweikämpfe er bestritten und wie viele Fouls er begangen hat.
Damit das System funktioniert, müssen die Flutlichtmasten und Tribünendächer der Stadien mit bis zu zehn Antennen bestückt werden. Für den Computer, bei dem die Daten zusammenlaufen, stellt sich das Rasenviereck als eine Ansammlung von X-, Y- und Z-Koordinaten dar, die die Position der Objekte wiedergeben. Den Hinweis, ob der Ball hinter der Linie war, erhalte der Schiedsrichter »in Echtzeit«, sagte Dünkler dieser Zeitung. Dies geschieht entweder per Vibrationsalarm wie bei einem Handy oder als Meldung auf eine Schiedsrichteruhr mit Display. Dort könne dann zum Beispiel das Wort »Tor« aufleuchten.
Außer in Erlangen wird in Herzogenaurach an der digitalen Fußball-Zukunft getüftelt. Allerdings hüllt sich Adidas weitgehend in Schweigen. Im Frühjahr werde der »erste intelligente Schuh« auf den Markt kommen, sagte ein Sprecher des Sportartikelherstellers dieser Zeitung. Auf die Frage, welche Daten das Schuhwerk liefere, mauerte er allerdings: »Es ist uns zur Zeit leider nicht möglich, weitere Details zu veröffentlichen.«

Artikel vom 18.01.2005