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Wir können aufbrechen, wenn Sie es wünschen!«, hatte es Silberschopf mit einem Mal eilig.
Livia erhob sich und sah demonstrativ auf ihre Armbanduhr. »Wenn Sie mich für einige Minuten entschuldigen, Signore de Castro. Ich muss vorher noch telefonieren. Danach lasse ich meinen Wagen vorfahren.«
De Castro erhob sich halb von seinem Stuhl. »Wir können gern mit meinem É«
»Vielen Dank! Sehr aufmerksam, doch es ist nicht nötig«, winkte Livia ab und verschwand in Richtung Toilette. Sie blieb an diesem Ort etwas länger als nötig, um Zeit zu gewinnen. »Du stehst das durch! Verdammt noch mal!«, sprach sie sich Mut zu. Danach ging sie auf Claudio zu, um sich das Telefon zeigen zu lassen. Sie warf eine Münze ein und wählte ihre eigene Nummer. Sie spürte in ihrem Rücken, dass sie dabei beobachtet wurde. Wie zufällig war Claudio in ihrer Nähe stehen geblieben. Daraufhin begann sie ein imaginäres Telefonat zu führen.
»Ah! Liebling É«
É
»Eine knappe Stunde noch É«
É
»Sein Name? De Castro, Liebling É De Castro É«
É
»In der Galeria Alberto Pieramanti É« Daraufhin drehte sich Livia um und blickte zu Claudio. Als sie die Hand vor die Sprechmuschel hielt, um ihre Stimme zu dämpfen, verließ Claudio diskret seinen Platz. »Bis später É«, hauchte sie am Ende und hängte ein.
Daraufhin wandte sie sich an einen weiteren Livrierten am Eingang mit der Bitte, zu veranlassen, dass ihr Wagen vorfahren möge.
Auf halbem Wege zurück zum Tisch kam ihr Claudio entgegen, der inzwischen die Rechnung präsentiert hatte. Als de Castro sich erhob, zierte ein süßsaures Lächeln sein Gesicht. Livia konnte beinahe hören, wie sich Räder in seinem Kopf drehten, um die neuen Informationen, die er zweifelsfrei von Claudio übermittelt bekommen hatte, einzuordnen.
»Sie wollen wirklich Ihren eigenen Wagen benutzen, Signora Vasari?«, startete de Castro einen weiteren Versuch.
»Ist doch einfacher É Sie sind danach unabhängig und somit schneller bei Ihrer Familie«, trällerte Livia, vermied allerdings, Silberschopf ins Gesicht zu sehen.
»Sehr schade É Ich genieße jede Minute mit Ihnen É«
Vielleicht wollte er auch verhindern, dass die getrennte Abfahrt vor dem Versini ihm vom neidischen Personal als eine misslungene Eroberung ausgelegt werden konnte. Jedenfalls zog Livia, als sie dem Ausgang zustrebte, mit ihrem Outfit noch einmal alle Augen im Ristorante auf sich. Sie war vom Anschein her der dominierende Part, und de Castro hatte keine andere Wahl, als wie ein Lakai hinter ihr herzutappen. Nach der überschwänglichen Verabschiedung durch die livrierte Riege schlüpfte sie durch den aufgehaltenen Wagenschlag in den Fond ihrer gemieteten Nobelkarosse. Wie von fern hörte Livia noch eine unsichere Stimme, die ihr ein völlig unpassendes »Bis gleich!« nachrief.
Livia gab ihrem Fahrer das neue Ziel bekannt und erteilte ihm die Anweisung, dieses auf einigen Umwegen anzusteuern. Sie wollte damit sicherstellen, dass Silberschopf neuerlich auf sie warten musste.
Der Chauffeur kurvte durch die nächtlichen Straßen Mailands, als ob er beweisen wollte, dass er in diesem Straßengeflecht die Orientierung nie verlieren würde. Als sie in die Alzaia Naviglio Grande einbogen, wies sie den Fahrer an: »Parken Sie direkt vor der Galerie. Warten Sie hier auf mich, bis ich zurückkomme. Es wird nicht allzu lange dauern«
Silberschopf stand schon in der geöffneten Tür. Das schwere Stahlgitter war nur halb geöffnet und das Innere der Galerie schwach erleuchtet.
»Bitte treten Sie ein«, vernahm Livia die heiser klingende Stimme de Castros. Sein Blick richtete sich auf die parkende Karosse vor seiner Galerie. »Wollen Sie Ihren Chauffeur tatsächlich warten lassen?«, klang es fast brünstig in Ihren Ohren.
»Die wenigen Minuten der Einsamkeit wird er überstehen.«
»Wenige Minuten? Ich glaube, wir werden etwas länger benötigen.«
Livia zögerte. »Ich verstehe nicht É?«
»Treten Sie näher. Haben Sie Vertrauen. Ich habe lediglich vor, Ihnen ein noch besseres Angebot zu unterbreiten.« De Castro verschloss die Tür.
»Erst sollten wir den abgesprochenen Teil erledigen. Danach werden wir sehen É«
»Natürlich, wie Sie wünschen, Signora Vasari. Bitte folgen Sie mir.«
Zu Livias Erstaunen ging er an seinem Büro vorbei und führte sie in den hinteren Teil der Galerie, der im völligen Dunkel lag. Livia blieb unwillkürlich stehen. »Gehen Sie besser allein das Geld holen; ich möchte hier auf Sie warten.«
De Castro zeigte sich amüsiert. »Warum so ängstlich? Weder Vampire noch Gespenster lauern uns hier auf. Kommen Sie schon É Kommen Sie!«
De Castro knipste ein einzelnes Spotlight an und fuhr fort. »Wissen Sie, der Safe befindet sich genau hinter diesem angestrahlten Bild.« Routiniert wählte er mit der rechten Hand die Ziffernkombination und öffnete den Safe. Bedächtig legte er einen Schein nach dem anderen auf den Tisch. Es waren Eintausend-Dollar-Noten. Leise zählte er mit. Als zehn Scheine aneinander gereiht waren, legte er eine Pause ein. »Ich will Sie aus Ihrer schwierigen Lage retten, Signora Vasari. Doch das hat seinen Preis.«
Livia ahnte nun, worauf er hinauswollte. »Solange ich schwimmen kann, benötige ich keinen Rettungsring!«
»Ich glaube, Sie werden sich in diesem Geschäft nicht lange an der Oberfläche halten können.«
»Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?«
Silberschopf reihte weitere zehn Scheine wortlos aneinander, bevor er Antwort gab. »Ich bin mir sicher, dass Ihr Kunstbesitz zu zwei Dritteln aus Fälschungen besteht. Ich frage mich, wie Sie diesen in Zukunft gewinnbringend veräußern wollen? Schon der nächste Besuch in einer Galerie könnte für Sie erhebliche Probleme mit sich bringen.«
»Ich frage mich, warum Sie dann ausgerechnet meinen Grosz ankaufen?«
Sein Gesicht machte eine halbe Drehung, bis es Livia voll zugewandt war. »Ich sagte Ihnen doch: Alles hat seinen Preis. Sie haben sicher auch Ihren Preis.«
»Warum?«
»Achtundzwanzig É neunundzwanzig É dreißig! Nehmen Sie!«
»Ich warte auf Ihre Antwort!«
»Warum? Da er gut gefälscht ist und nur ich ihn außerhalb der Galerie weiterverkaufen kann. Hoffentlich für das Doppelte - besser noch für das Dreifache!«
Livia wusste nicht mehr, ob sie lachen oder schreien sollte. Sie konzentrierte sich nur auf das Geld; alles andere war unwichtig. Sie schob die ersten dreißig Eintausend-Dollar-Noten stumm zusammen und steckte sie in ein Seitenfach ihrer Handtasche.
»Ein weiterer Grund ist Ihre köstliche Anziehungskraft É Einunddreißig É zweiunddreißig É«
Livia zog es vor, auch diesmal keine Antwort zu geben.
»Ich muss außerdem gestehen, dass der Reiz des Neuen bei mir diese Anziehungskraft noch steigert. Sie führt ganz natürlich zu einem gewissen Eroberungsdrang.«
»Es ist schon spät, Signore de Castro. Bitte, beeilen Sie sich.«
»Achtunddreißig É neununddreißig É« De Castros Zählwerk stockte. »Wir sollten uns zusammentun, um ein noch größeres Geschäft abzuwickeln.«
»Abgemacht. Ich werde mich melden, sobald ich wieder in Mailand bin.«
»Vierzigtausend É« Wieder hielt er inne. »Gestatten Sie mir eine Frage?«
»Ich werde es nicht verhindern können.«
»Welches ist Ihre liebste erogene Zone?«
Livia stutzte und bedachte Silberschopf mit einem kühlen Blick und erwiderte knapp: »Mein Verstand, Signore de Castro!« Gleichzeitig raffte sie wie selbstverständlich die zehn Tausend-Dollar-Noten auf dem Tisch zusammen.
De Castro begann weitere Scheine stumm auszubreiten. Offenbar hatte er mit der Antwort zu kämpfen. Als weitere sechs Noten auf dem Tisch lagen, meinte er: »Ich glaube Ihnen kein Wort, Signora!« De Castro beendete das Ritual und zählte in der Hand die restlichen vierzehn Scheine ab und hielt sie Livia direkt hin. »Hier! Nehmen Sie!«
Livia nahm die Scheine gelassen entgegen und verstaute sie ebenfalls im Seitenfach ihrer Handtasche. Daraufhin wedelte de Castro mit dem Rest der Scheine vor Livias Gesicht. »Das sind noch einmal zehntausend Dollar, Signora. Zehntausend!« Daraufhin zog er zwei Scheine aus dem Bündel. Nach einer kurzen Pause platzte es aus ihm heraus: »Zweitausend Dollar dafür, dass Sie sich hier auf dem Tisch präsentieren wie die Dame dort auf dem Bild von Tom Wesselmann.«
Livia folgte der Richtung seines Zeigefingers. Es war ein Ölbild, das der Künstler Großer amerikanischer Akt Nr. 91 nannte. Livia konnte sich über die bodenlose Dreistigkeit de Castros nur noch amüsieren. Den sich schamlos gebenden Akt empfand sie als steril, worin sie so etwas wie Ironie gegenüber ihrer eigenen Situation erkannte. Sie hätte Silberschopf am liebsten eine schallende Ohrfeige verpasst, doch sie nahm sich vor, ihn auf andere Weise für seine Unverschämtheiten zu demütigen.
»Nur zweitausend? Knauserige zweitausend Dollar für einen unvergesslichen Blick?«
»Viertausend!«, krächzte Silberschopf.
»Signore de Castro! Überall würde ich bessere Quoten hören! Der Playboy würde für einen einzigen Blick auf die Spuren des Bikinis auf meiner nackten, samtenen Haut das Vierfache bezahlen.
De Castro hatte plötzlich glasige Augen. »Wie viel verlangen Sie É?
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 18.01.2005