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Stets gegen das Töten gewehrt

Senait G. Mehari (30) - Kindersoldatin, Popstar und erfolgreiche Autorin

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Ausgesetzt, ausgebeutet, ausgebrannt; Das war Senait G. Mehari als sie 1987 nach Deutschland kam. In diesem Jahr liegt »Feuerherz«, die Biographie der 30jährigen Popsängerin, unter mehr als 100 000 Christbäumen. Ihre Geschichte ist eine afrikanische Botschaft zum Frieden weltweit.

Stets muss Licht brennen. Bei Dunkelheit kann Senait immer noch nicht schlafen. Wenn es finster wird, ist die Angst da. Sie hört den Krieg, riecht den Gestank der Massaker. Die »Story« der Senait Mehari ist ein Albtraum.
In ihrer Heimat am Horn von Afrika war Krieg, als sie geboren wurde. Die Mutter aus Eritrea, das gerade seine Unabhängigkeit erkämpft, der Vater Äthiopier, der die Familie im Stich lässt. Abertausende Schicksale begannen so, nur eines machte 2004 in Deutschland Schlagzeilen.
Senait war damals das »Kofferkind«. Die Mutter hatte im wahrsten Sinne des Wortes den Verstand verloren und ihr wenige Wochen altes Baby in einem Koffer ausgesetzt. Nachbarn hörten das Wimmern. Senait kam in ein Waisenhaus, die Mutter sechs Jahre ins Gefängnis. Irgendwann kehrte der Vater zurück. Als Senait sechs Jahre alt war, steckte er sie mit zwei Schwestern in das Camp »Tchekubera« der Kinderarmee der eritreischen Guerilla-Organisation ELF. Das Mädchen wurde Kindersoldatin. Sie habe sich immer gegen das Töten gewehrt, schreibt sie. Mehr nicht.
Auch 2004 schätzt Unicef weltweit 300 000 Kinder unter Waffen, davon zehn Prozent Mädchen. Jahrtausende wurde mit Schwert und Kraft gekämpft. Erst seit Schnellfeuergewehre von jedem gehalten werden können, setzen verfeindete Parteien Kinder ein. Sie sind billiger, essen weniger und meutern nicht.
Senaits Leser spüren, was »Feuerherz« bedeutet: In der Kinderarmee wurde sie zum Töten gedrillt, missbraucht und immer wieder geschlagen. Wenn es, wie so häufig, tagelang nichts zu essen gab, habe sie sich Lehm in den Mund gestopft. Senait überlebt. Mit knapp zehn gelang ihr die Flucht. Von 1985-1987 lebte sie im sudanesischen Khartum, ehe der Vater sie nach Hamburg holte.
Schlagzeilen machte Sinait, als sie bei der deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix 2003 den vierten Platz belegte. Sie hat auch Texte geschrieben für die No Angels und Tears. Bei der Buchmesse 2004 war ihre Biografie der Hit. Der Erfolg auf den Bestsellerlisten ermutigt sie, weiter gegen den Einsatz von Kindersoldaten zu kämpfen. Für die »Aktion Weißes Friedensband« wird sie am 12. Februar 2005 wieder das Symbol »Rote Hand« mit tausenden von Schülern hochhalten. Die Popsängerin besucht Schulen und informiert, so gut sie kann.
Bei der Konferenz »Unterwegs vom Krieg zum Frieden« berichtete sie im November in Bonn vor 120 Entwicklungs- und Aufbauexperten über die schwere Zeit »danach«. Mit dem Waffenstillstand tritt an keinem der weltweiten Krisenherde über Nacht wieder Normalität ein. In den Köpfen und auch in den Herzen tobt das Grauen weiter. Es sind die Frauen, siehe Info-Kasten, die die Hauptarbeit leisten.
Und wie gehen die, die es überlebt haben, mit alledem um? »Ich glaubte, ich sei ein böses Mädchen, deshalb musste ich all das Schreckliche erleben«, erzählt Sinait. Schnell überspringt sie die lange Zeit, in der ihr Psychotherapeuten und Freunde halfen, ohne Kindheit erwachsen zu werden.
Das Buchprojekt, noch bevor irgendwelche Honorare auch nur möglich erschienen, machte sie unabhängig, ließ innere Mauern fallen. »Ich habe mein Leben niedergeschrieben, und jetzt bin ich frei.«

Artikel vom 24.12.2004