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Und in diesem Sumpf fühlst du dich wohl!«
Angelo deutete auf die Gemälde an den Wänden des Salons. »Nicht alles sind Irrtümer oder Fälschungen. Deshalb verfalle ich nicht einem unnötigen Misstrauen. Verlasse dich auf meinen Instinkt! Meine wahren Ziele liegen woanders É«
Livia erhob sich. »Wovon redest du eigentlich? Mir wäre es lieber, unser Name würde nicht in Zusammenhang gebracht mit zweifelhaften Produkten oder Gemälden, die ins Ausland verschoben werden. Warum hast du mit mir nie über diese Dinge gesprochen? Womit verdienst du dein Geld? Ich muss jetzt alles wissen!«
Angelo rutschte von der Fensterbank und fing an, im Salon auf und ab zu wandern. »Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, was das hier alles kostet? Gleichzeitig bekommst du von mir regelmäßig Geld auf dein Konto überwiesen, über das du frei verfügen kannst. Mich hat es nie interessiert, was du damit machst. Das soll auch in Zukunft so bleiben.«
»Du wirst doch nicht behaupten wollen É«
»Lass mich bitte ausreden!«, schnitt ihr Angelo das Wort ab. »Was ich damit sagen will, ist, dass ich in einem ganz normalen Beruf, sei es als Angestellter einer Firma oder als freier Steuerberater, nirgendwo in Italien so viel Geld verdienen kann, damit wir hier in Venedig ein solch sorgenfreies und bequemes Leben führen können.«
»Sorgenfrei nennst du das?«
»Natürlich!«
»Wenn schon die Kriminalpolizei an unsere Tür klopft, dann É«
»É ich denke, das ist eine ganz normale Sache. In jedem Leben kann es Konflikte mit Behörden geben. Aber wenn hier Probleme entstehen, lassen sie sich auch wieder lösen.«
Es entstand eine Pause. Angelo sah lange zum Fenster hinaus.
Nach einer Weile sagte Livia. »Sieh mich an, Angelo.«
Langsam drehte er sich um und leerte sein Whiskyglas.
»Ich habe das Gefühl, du sagst mir auch jetzt nicht die ganze Wahrheit.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich spüre es einfach. Du bist momentan ein völlig anderer Mensch für mich. Du machst mir Angst, weil ich den Grund deiner Heimlichkeiten nicht verstehe. Wenn du Probleme hast, solltest du sie mit mir teilen. Dafür bin ich deine Frau.«
Angelo sah sie lange an. Beherrscht stellte er sein Glas ab, kniete vor ihr nieder und umschloss ihre Beine. »Was mich wirklich beunruhigt, ist die Behauptung von diesem Commissario, unsere Adresse von Venedig hätte in Lippis Notizbuch gestanden.«
»So hat er es mir gesagt.«
»Das kann nicht stimmen. Ich habe eine Adresse mit ihm getauscht. Aber nicht die von Venedig.«
Livia entwand ihre Beine seinen Armen. »Welche Anschrift hast du ihm dann gegeben?«
Angelo war wieder aufgestanden. »Also gut! Ich habe bei Freunden eine Büroadresse in Mailand. Und diese Adresse habe ich Lippi gegeben - vor unserer Hochzeit. In diesem Punkt habe ich dich nicht belogen!«
Livia starrte ihn irritiert an.
»Was siehst du mich so an? Du wolltest doch alles wissen. Mailand ist die Kontaktadresse für alle meine Geschäfte. Von Anfang an war es mein Ziel, unser gemeinsames Leben hier in Venedig aus alledem völlig herauszuhalten. Bis zum heutigen Tage ist mir das auch gelungen. Kannst du das nicht verstehen?«
»Verstehen? Ich weiß überhaupt nicht mehr, was und wie ich alles einordnen soll.«
Angelo hatte seine Wanderung durch den Salon wieder aufgenommen. »Vielleicht ein bisschen viel auf einmal. Außerdem hast du ja recht. Der Kunsthandel ist mitunter ein echter Sumpf. Trotzdem, aus meiner Sicht habe ich mich bisher aus jeder Ungesetzlichkeit heraushalten können.«
»Aus deiner Sicht? Was soll das heißen?«
»Qualität ist für mich das wichtigste Merkmal eines Bildes.« Angelo gestikulierte mit den Armen wie ein Anwalt beim Plädoyer. »Der Schritt zwischen Kopierkunst und Fälschung ist für viele Talente verführerisch, doch ein Kenner und Vermittler wie ich kann sein Auge schulen. Ich denke, ich weiß, was ich kaufe, anbiete und verkaufe.«
»Dein Auge hat dich allerdings getäuscht, als es darum ging, mit wem du Adressen tauschst.«
Er hob die Hände. »Jeder kann sich täuschen. Doch kein Mensch kann völlig sicher sein, ob die zugesicherten Eigenschaften der angebotenen Objekte vor einer rigiden Gesetzesauslegung bestehen können. Die Richter lassen Gutachter antreten, die sich häufig widersprechen. Außerdem, wer bestimmt eigentlich, was echt ist und was nicht? Glaub mir, auch manche Museen verteidigen ihre problematischen Ankäufe bis aufs Messer.«
»Was ist, wenn du dich aus dem Kunsthandel vollkommen zurückziehst? Du kannst es dir doch sicher leisten?«
»Wie stellst du dir das vor? Warum sollte ich eine interessante und lukrative Betätigung einfach aufgeben? Gerade in den letzten Jahren ist zu spüren, dass der Kunstmarkt zu boomen beginnt. Eine wachsende Zahl von Käufern steigert die Nachfrage ins Unermessliche. Es wird immer wieder Neues auf den Markt geworfen. Die Menschen entrümpeln Speicher, Wohnungen und Lagerräume É«
Livia war aufgestanden. »Ich merke, ich kann da im Augenblick nichts ausrichten. Es hat keinen Zweck, weiter darüber zu reden. Ich werde jetzt deine Reisetasche auspacken.«
Angelo stellte sich ihr in den Weg. Er umfasste ihre Schultern mit seinen Händen. »Livia!«, hauchte er und blickte flehend in ihre Augen. »Verzeih mir!«
Sie senkte den Blick. »Es gibt nichts zu verzeihen.«
»Was kann ich tun, damit du wieder Vertrauen in mich gewinnst?«
Livia ging an ihm vorbei. Im Hinausgehen meinte sie: »Frag dich lieber: Was werden unsere Freunde sagen, wenn sie eines Tages Berichte über uns in der Skandalpresse finden?«
»Ich werde alles daran setzen, dass nichts Anrüchiges über mich zu lesen sein wird«, rief er ihr hinterher. »Und vor allem nicht über dich.«
Livia schnappte sich seine Reisetasche und ging damit ins Ankleidezimmer, um wie gewohnt seine Wäsche herauszunehmen. Sie merkte, dass ihre Hand zitterte. Während sie die gebrauchten Hemden, Socken und Unterwäsche sortierte, nahm sie plötzlich einen intensiven Geruch wahr. Kein Zweifel, es war der Duft eines Parfüms.
Ihr Geruchssinn kreiste Angelos Oberhemd als Träger des Fluidums ein. Sie schnupperte mehrmals daran. Ihr Herz begann zu rasen. Wieder roch sie an dem Hemd. Süßduftend - eine orientalische Mischung. Entweder Opium oder Shalimar. Weit entfernt von Arpège und Chamade, dem »Ton« ihres Duftes. Jedenfalls ein fremdes Parfüm. Mit starrem Blick registrierte sie, dass das Hemd arg knittrig war. Wüste Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf É
»Mistkerl!«, zischte sie. Schon wollte sie mit dem Hemd zu ihm stürmen, doch sie fürchtete den Knall, der auf einmal ihre ganze Welt zum Stillstand bringen würde. Sie zögerte. Am Ende schleuderte sie das Hemd von sich. Ein Unterhemd hinterher É
Etwas Glitzerndes fiel zu Boden. Sie traute ihren Augen nicht. Ein Ohrring zog kleine Kreise vor ihrem linken Fuß.
Sie starrte darauf, als ob eine Klapperschlange sich vor ihr zusammenringelte. Sie rang nach Luft. Sie kniete nieder, wollte nach dem Schmuckstück greifen. Ihre Hand zuckte zurück. Ihr war, als öffnete sich ein Loch unter ihren Füßen, in das sie hinabzustürzen drohte.
Nach einer Weile hob sie den Ohrring auf. Szenarien von herrlichen Momenten mit Angelo liefen in ihrem Kopf wie im Zeitraffer ab. Ein Eisblock senkte sich gleichzeitig in ihre Magengrube. Dass ihr Mann sie jahrelang getäuscht hatte, was seine Geschäfte betraf, war ein harter Schlag, aber damit würde sie schon fertig werden. Dass er sie offenbar auch betrogen hatte, war demütigend.
Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie wollte nur raus aus der Wohnung. Der Duft des Parfüms verursachte ihr Brechreiz. Livia griff nach ihrer Handtasche, schnappte sich ihre weiße Lederjacke und eilte zur Ausgangstür.
»Wo willst du hin?«, rief Angelo erstaunt.
Blindwütig warf sie mit dem Ohrring nach ihm. »Du Schwein! Das habe ich nicht verdient!«, schrie sie ihn an.
»Livia!«, hörte sie Angelo entsetzt rufen, bevor sie die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss warf.

Mailand, Juni 1964

Diskretion war das Markenzeichen der Mailänder Detektivsozietät Security Leonardo. Die Agentur strebte wie alle anderen nach lukrativeren Fällen, doch wurden Aufträge neuer Kunden am liebsten auf persönliche Empfehlung von vertrauenswürdigen Stammkunden angenommen. Doch die neue Kundin, die unangemeldet im Büro aufgetaucht war, war offensichtlich ein besonderer Fall. Ihr starker Wille, Kontrolle über ihr Leben, ihre Ehe und ihre Probleme zu gewinnen, dazu die bezaubernde Aura ihrer Weiblichkeit hatte ihren Gesprächspartner vom ersten Augenblick an beeindruckt.
Detektiv Luigi Carracciolo massierte sich das Kinn und musterte abwechselnd die Fotos auf seinem Schreibtisch und die junge Frau ihm gegenüber. In seinen Augen passte Livia weder zu dem Mann auf den Fotos noch in das Stereotyp seines Gewerbes.
»Was ist É?«, fragte Livia ungeduldig.
»Wir werden hinter ihm her sein, bis wir ihn gefunden haben. Wir werden seine Adresse in Mailand herausbekommen, Signora Romano.«
Livia nickte stumm.
Seit dem Verschwinden Angelos waren drei Wochen ins Land gezogen. Zwei Tage nach Angelos Verhör bei Commissario Metelli hatten Kriminalbeamte zusammen mit Fahndern der Zollbehörde ihre Wohnung in der Corfù Gambara durchsucht und die vorhandenen Bilder beschlagnahmt. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 07.01.2005