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Leitartikel
Freund Putin & der Kanzler

Fürstlich inzeniert
bei Hofe


Von Rolf Dressler
Ganz unbefangen betrachtet ist es doch wirklich erhebend mitzuerleben, wie freundschaftlich vertraut sich zwei herausgehobene Amtsträger - im aktuellen Falle Russlands Präsident Wladimir Putin und Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder - begegnen.
Schon erst recht dann, wenn die beiden Staatsmänner zu vorweihnachtlicher Bescherung in einem Schloss namens Gottdorf hofhalten. Zwar nicht mit dem Gepränge der Zarenhöfe, immerhin aber doch wie weiland die altvorderen Fürsten seligen Angedenkens. Erstaunen müsste eigentlich aber etwas ganz anderes erwecken:
Der Gastgeber begrüßt, belobigt und behandelt seinen hohen Gast, den Kreml-Mächtigen, ohne jede restkritische Einschränkung als »lupenreinen Demokraten« - sozusagen auf Augenhöhe mit sich selbst.
Das Volk der Mediennutzer ge- nießt die wohldurchdachte Inszenierung wie eine prunkvolle Polit-Gala-Schau, die deshalb nicht einmal notorische Miesepeter zu stören vermögen. Und wer zudem will schon etwas ausrichten gegen die Kaiserwetter-Wintersonne, die offenbar vom Protokoll bestellt war und mit den Männerfreunden aus Berlin und Moskau zwei Tage lang um die Wette strahlte?
Der Beinahe-Einmarsch russischer Truppen am 28. November, um die Opposition in der Ukraine mundtot zu machen; Putins eisernes Regime, das der mit allen Wassern gewaschene, gelernte Sicherheitsmann entscheidend auf »seine« gefürchteten, runderneuerten Geheimdienste stützt; die beinharte Militär-Schlaghand von Putins »aufgeklärter Diktatur (!) Russland« zur Disziplinierung der ewigen Kaukasus-Unruheregion: Die abermals ziemlich blauäugigen Massen in Europa scheren sich nicht sonderlich darum. Sie möchten ungetrübt die schönen Bilder und die samtigen Töne aus dem romantischen Schleswiger Schlösschen genießen.
Stattdessen ereifert man sich darüber, wie um des Himmels willen sich frühere Generationen denn nur von den Schalmeien oder Propaganda-Fanfaren sogar leibhaftiger Diktatoren haben einlullen, irreleiten und aufwiegeln lassen können.
Ein lupenreiner Demokrat ist ein lupenreiner Demokrat ist ein lupenreiner Demokrat, sagt unser Bundeskanzler. Wenn der lupenreine Kreml-Demokrat Wladimir Putin dann brusttönend verkündet, den Krieg in Tschetschenien gebe es schon seit drei Jahren nicht mehr, dann ist die Welt es weithin zufrieden.
Die kleine Feinheit: Wiederaufbauhilfen gerade auch von Freund Schröders Deutschland ist Wladimir Putin jederzeit willkommen, beteuert er. Jedwede politische Einmischung aber verbittet sich der gewiefte Führer von der Mos- kwa absichtsvoll sogar in akzentfrei gepflegt fließendem Deutsch.
Dann nämlich weiß gleich auch die ganze Völker-Welt, dass dieser Putin sein Russland so rasch wie möglich in die Rolle des globalen Führungsspielers zurückbringen will.
Zweite und noch niedrigere Plätze sind seine Sache nicht.

Artikel vom 22.12.2004