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Der lange Weg von
alternativ zu etabliert

Seit einem Vierteljahrhundert sind die Grünen im Rat

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Älter sind sie geworden. Und wenn sie von damals berichten, dann geraten sie genauso ins Erzählen von Anekdoten wie alle Menschen, die auf ein Vierteljahrhundert gemeinsamen Lebens, Streitens, sich Freuens oder Arbeitens zurückblicken können. Die Rede ist von den Grünen. Am kommenden Freitag feiern sie den 25. Geburtstag ihrer Ratsfraktion.

1979 war Schluss mit der kommunalpolitischen Beschaulichkeit im Bielefelder Rathaus. Die Bunte Liste entsandte erstmals eine eigene Fraktion in den Rat. 5,4 Prozent der Stimmen hatte der Vorläufer der Grünen bei der Kommunalwahl auf sich vereinen können; das bedeutete vier Sitze im Stadtparlament. Den Begriff »Vorläufer« hört mancher der alten Kämpen vielleicht nicht so gern. »Wir waren politischer als die ersten Grünen, die es kurz nach uns in Bielefeld gab«, sagt Rainer Kronshage, heute selbst Kreisvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, wie die Partei inzwischen heißt. Aber man hat sich zusammengerauft und trat fünf Jahre später bereits als grün-bunte Liste an. Die einen mehr öko, die anderen mehr links.
Bis dahin mussten den etablierten Ratspolitikern die Neuen zuweilen wie bewusst provozierende Politchaoten vorkommen. Die politische Linie wurde auf endlosen Plenumssitzungen im Umweltzentrum festgelegt. »Wer am längsten aushielt, bestimmte den Kurs«, erinnert sich Kronshage. Fraktionssprecher Reinhard Krämer erschien schon mal in roter Turnhose zur Finanzausschuss-Sitzung und wurde prompt von den Beratungen ausgeschlossen. Bielefelds große Liberale Gisela Schwerdt vermisste nach dem überraschenden Einzug grün-bunter Sympathisanten in eine Sitzung ihre schon legendäre blaue Unterlagen-Mappe - und die Ratshausverwaltung einen Staubsauger. Vorfälle, die nie geklärt wurden und über die heute alle schmunzeln.
Dass die bunte Liste im Rat überhaupt Sitz und Stimme erhielt, war vor allem die Folge einer Stadtsanierungspolitik, die vielen gegen den Strich ging und die in ihrer Radikalität heute wohl von keiner Partei mehr betrieben würde. Dabei waren die Grün-Bunten oft keine Ur-Bielefelder, sondern Zugereiste, junge Leute, die zum Studium in die Stadt gekommen waren. In jenen Jahren entwickelte sich die Fakultät für Soziologie der Universität zu einem Mekka der Anhänger der neuartigen politischen Bewegung. Marianne Weiß zum Beispiel, heute Kreisgeschäftsführerin der Partei, zog der Uni wegen aus München an den Teuto. Michael Vesper, heute grüner NRW-Bauminister, kaum aus Düsseldorf. Britta Hasselmann, die zur Landesvorsitzenden wurde, vom Niederrhein.
Doch bis solche Politikerkarrieren möglich wurden, mussten die Grünen auch viel politisches Lehrgeld zahlen. Die Sozialdemokraten, die nicht mehr allein regieren konnten, entdeckten die Grün-Bunten als Juniorpartner und behandelten sie anfangs auch so. Deren Stimmen zur Verabschiedung des Haushalts kauften sie zuweilen mit Verpflichtungsermächtigungen für grüne Prestigeobjekte ein. »Wer in der Fraktion wusste damals schon, was eine Verpflichtungsermächtigung ist«, fragt der grüne Finanzpolitiker Klaus Rees heute. Die konnte, musste aber nicht eingelöst werden. 1989 wurde es dann den Bürgerlichen zu bunt. CDU, FDP und die neu gegründete Bürgergemeinschaft schafften es bei der Kommunalwahl, Rot-Grün in die Opposition abzudrängen, eine neue Erfahrung für die noch junge Partei.
Klaus Rees, auch Fraktionsgeschäftsführer, steht genauso wie die heutige Fraktionschefin Dr. Inge Schulze für die zweite Generation grüner Politiker, die Ratsarbeit professionell und meist an der Sache orientiert betreiben. Grüne Finanzpolitik etwa folgt inzwischen einem Sparkurs, der auch vielen in Union und SPD Respekt abverlangt.
Älter ist sie geworden, die Partei. Und mit ihr die Wähler. Zwar haftet den Grünen noch immer ein jugendliches Image an, und die besten Wahlergebnisse werden stets in den studentischen Hochburgen der westlichen Innenstadt erzielt. Doch gibt es dort heute mindestens so viele teuer renovierte Eigentumswohnungen wie Studenten-WGs. Deutlich zweistellig sind die grünen Resultate längst auch im Stadtbezirk Dornberg, wo viele gut Ausgebildete und nur wenige künftige Hartz-IV-Empfänger leben.
Die Grünen gelten inzwischen als Konkurrent der FDP und weniger als linkes Sammelbecken. Mancher sieht in ihnen die eigentliche Partei der Besserverdienenden und derjenigen, die sich ein gutes Gewissen auch finanziell leisten können. Ein Vierteljahrhundert geht eben nicht spurlos an einer Partei vorbei.

Artikel vom 07.12.2004