04.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Kinder im Hafturlaub
verfolgt

Mörder gibt 44 Übergriffe zu

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Ein zu lebenslanger Haft verurteilter Mörder hat als Freigänger in Bielefeld Kinder sexuell drangsaliert. Der 44-Jährige habe 32 Taten im Stadtgebiet und weitere zwölf in Dortmund, Beckum und Krefeld gestanden, berichtete am Freitag die Polizei.

Obwohl Joachim J. als männliche Prostituierte im Juni 1987 in Köln einen homosexuellen Kaufmann erschlagen und beraubt hatte, erkannte der psychologische Dienst der JVA Bielefeld-Senne seine pädophile Neigung angeblich nicht und befürwortete den offenen Vollzug.
Zwischen Februar und November 2004 habe der Verdächtige Ausgang und Urlaub dazu genutzt, gezielt Jungen im Durchschnittsalter von 13 Jahren auf Spiel- und Sportplätzen anzusprechen und sich vor ihnen zu entblößen, sagte Kommissar Thomas Reinartz von der Bielefelder Kripo. In der JVA habe der Mann seine Neigungen verschwiegen, um die Entlassung nicht zu gefährden.
»Mörder dürfen nicht in offenen Vollzug«, kritisierte Marlies Kramer vom Verein »Schutzengel« gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Bei der Vorgeschichte des Täters sei es »völlig unverständlich«, dass die Gutachter die Gefahr für die Jungen nicht erkannt hätten. »Was da passiert ist, brennt sich ins Gedächtnis ein und verfolgt die Opfer möglicherweise ihr ganzes Leben lang«, sagte Kramer dieser Zeitung.
Der Leiter der JVA Bielefeld-Senne, Rolf-Joachim Roth, erklärte, der Verdächtige sei am 17. Februar von der JVA Geldern nach Ostwestfalen verlegt worden, um ihn auf die Entlassung vorzubereiten. Am 12. März habe er erstmals Urlaub bekommen. Sowohl vor der Verlegung als auch in der JVA Bielefeld-Senne selbst sei der als Holzmechaniker in der Schreinerei eingesetzte Mann untersucht worden, schilderte Roth: »Der psychologische Dienst hat am 24. März und 14. Mai positive, ausführliche Gutachten erstellt.« Sechs Mal soll der Straftäter in der 16-jährigen Haftzeit überprüft worden sein.
Der Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD), Klaus Jäkel, nahm den psychologischen Dienst der JVA Bielefeld-Senne in Schutz. »Pädophile Neigungen kann man nicht mit Hilfe eines Gutachtens erkennen«, sagte Jäkel dieser Zeitung. Durch Expertisen lasse sich nur ermitteln, ob eine in der Vergangenheit festgestellte Auffälligkeit noch bestehe.
Auch wenn der Fall in Bielefeld zu verständlichem Unmut in der Bevölkerung führe, dürfe der Nutzen des offenen Vollzugs nicht in Frage gestellt werden. Jäkel: »Wir können Straftäter nicht bis zum letzten Tag inhaftieren, denn dann wissen sie nicht, was sie tun und wohin sie gehen sollen.« Der Staat müsse Kriminelle auf die Freiheit vorbereiten. Seite OWL: Bericht
Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 04.12.2004