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Behinderter
Junge erhält
950 000 Euro

Fehler im Bürener Krankenhaus

Von Hubertus Hartmann
Büren (WB). Resi und Wolfgang R. hatten sich auf ihr Baby gefreut. Weil bei der Geburt im St. Nikolaus-Hospital Büren (Kreis Paderborn) aber gegen nahezu sämtliche Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen wurden, ist der kleine Marcel heute ein Schwerstpflegefall.
Rechtsanwalt in Paderborn: Walter Schäfers.

Für die leidgeprüften Eltern kann es deshalb nur ein schwacher Trost sein, dass ihr Sohn ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich hohes Schmerzensgeld bekommt: In einem Vergleich mit der Provinzial-Versicherung erstritt der Paderborner Rechtsanwalt Walter Schäfers für den Jungen 950 000 Euro. »Mit dieser Summe sind wir in eine ganz neue Dimension von Schadenersatz und Schmerzensgeld vorgestoßen«, kommentiert Schäfers das Verhandlungsergebnis.
Resi R. wurde von einem Bürener Gynäkologen betreut, der auch Belegbetten im Krankenhaus hatte. Die Schwangerschaft verlief unauffällig und problemlos, nichts deutete auf Komplikationen hin. Die kamen jedoch eine Woche vor dem eigentlichen Geburtstermin in Form vorzeitiger Wehen. Stationär aufgenommen wurde die werdende Mutter am 4. Oktober 2000. Als um 16 Uhr die Fruchtblase gesprengt wurde, ergoss sich grünes, mit Kindspech durchsetztes Fruchtwasser. »Bei jedem verantwortungsbewussten Arzt hätten alle Alarmglocken schrillen müssen«, kritisiert Schäfers. »Die Hebamme hätte sofort den Arzt verständigen, dieser unverzüglich die Geburt einleiten und einen Kinderarzt hinzuziehen müssen.« Der Gynäkologe sei aber offenbar gar nicht anwesend gewesen. Die Patientin habe lediglich Wehen fördernde Tabletten erhalten, erst um 20.24 Uhr sei das 4100 Gramm schwere und 57 Zentimeter große Kind zur Welt gekommen.
Da war es schon zu spät. Marcels Gehirn hatte über Stunden nicht genügend Sauerstoff bekommen und ist irreparabel geschädigt. Der heute vierjährige Junge ist blind und körperlich sowie geistig aufs Schwerste behindert. »Er kann nichts alleine tun und wird sein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen sein«, macht Schäfers deutlich.
Das Geburtsmanagement im St. Nikolaus-Hospital sei »schlechterdings unverständlich und grob fahrlässig, die Geburtsdokumentation unvollständig« gewesen. »Bei der gebotenen medizinischen Sorgfalt könnte der Junge heute wahrscheinlich ein ganz normales Leben führen, ihm und seiner Familie wäre das grausame Schicksal erspart geblieben«, glaubt der Anwalt.
In der so genannten »Hessischen Studie zu Geburtsschäden« sei festgestellt worden, »dass in kleinen und kleinsten Landkrankenhäusern bisweilen geburtshilflicher Unfug getrieben« werde. Das treffe leider auch auf Büren zu.
Die Geburtshilfliche Abteilung des Krankenhauses wurde vor zwei Jahren geschlossen.

Artikel vom 24.11.2004