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Zum Buß- und Bettag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Es ist dieser Zeitung hoch anzurechnen, dass sie immer noch Wert auf eine geistliche Betrachtung anlässlich des Buß- und Bettages legt und es erwünscht. Denn selbstverständlich ist das keineswegs. Vor fast genau zehn Jahren, am 16. November 1994, wurde dieser zum letzten Mal als gesetzlicher Feiertag begangen. Danach hat man ihn zu einem ganz normalen Mittwoch degradiert, zu einem gewöhnlichen Werktag. Es hatte an Phantasie gefehlt, nach Wegen zu suchen, wie die Pflegeversicherung auch anders hätte finanziert werden können. Zuvor war gerade dieser Tag besonders streng geschützt gewesen und - als ein stiller Feiertag - mit hohen Auflagen versehen, die etwa große Sportveranstaltungen und öffentliche Festivitäten ausschlossen. Da verriet es schon wenig Sensibilität, wenn solche Gesichtspunkte, die immerhin seit 1951 gegolten hatten, auf einmal nicht mehr galten und so mir nichts dir nichts über den Haufen geworfen werden konnten.
Der Protest der evangelischen Kirche war damals wohl zu matt und der Widerstand in der Bevölkerung zu schwach, um diese Entscheidung zu verhindern. Glücklicherweise ist dem Tag der deutschen Einheit ein ähnliches Schicksal erspart geblieben. Es ist nämlich ein Unterschied - ein Unterschied im Bewußtsein -, ob ein Volk einen festen Gedenktag für notwendig hält oder ob man annimmt, das, was es da zu bedenken gebe, ließe sich ebenso gut und ohne Verlust auch auf den Sonntag verschieben, der dem ursprünglichen Datum folgt.
Es war auch ein Irrtum zu meinen, den gesetzlichen Schutz des Buß- und Bettages mit der Erklärung abschaffen zu können, keine evangelische Gemeinde sei doch daran gehindert, Gottesdienste zu feiern, und es stände auch jedem frei, daran teilzunehmen. Eine solche Argumentation verkennt doch nur den eigentlichen Sinn dieses Feiertages. Es geht an ihm nämlich in erster Linie nicht um die Buße des einzelnen Menschen und um sein persönliches Verhältnis zu Gott. »Bußtage ... sind vielmehr Tage des Innehaltens, die das öffentliche Leben unterbrechen, Tage der Besinnung im Strom der Gleichförmigkeit, Tage, an denen Schuld und Verfehlung zur Sprache kommen sollen, und zwar nicht nur private, sondern gerade auch öffentliche« (Gerhard Rödding: Das Kirchenjahr feiern und erleben, 2002, S. 87).
Dadurch, dass die Arbeit ruhte, hatten auch Menschen, die nicht mehr im Rhythmus des Kirchenjahres leben, zumindest die Möglichkeit, über den Sinn eines solchen Tages nachzudenken und sich über seine Bedeutung zu informieren. Inzwischen aber ist zu vermuten und zu befürchten, daß die jüngere Generation nicht einmal mehr den Ausdruck »Buß- und Bettag« kennt, geschweige denn inhaltlich etwas damit verbindet. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Dabei hätten ein Volk und eine Gesellschaft allen Anlaß, sich sehr ernsthaft darüber Gedanken zu machen, welcher Geist in ihm und in ihr herrscht, und sehr selbstkritisch zu überprüfen, ob es sich dabei um einen guten Geist handelt, ob es eine gemeinsame geistige und geistliche Grundlage überhaupt noch gibt. »Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben« (Sprüche 14, 34), meint der Leitspruch des Buß- und Bettages dazu.
Anzunehmen, dass zivilisiertes und humanitäres Zusammenleben sich von selbst verstehen und auch erhalten bleiben, weil die Menschen doch so vernünftig und so guten Willens sind, ist nichts weiter als eine naive Illusion. Das zeigen gerade auch die jüngsten Ereignisse in Holland, wo ein Filmregisseur auf offener Straße abgeschlachtet wurde und wo Kirchen und Moscheen in Flammen aufgehen. Das geschieht nur wenige hundert Kilometer vor unserer Tür, in einer so freiheitlichen und toleranten Gesellschaft wie der niederländischen. Ausgerechnet in deren Mitte bricht die Barbarei aus wie ein wildes Tier aus seinem Käfig. Kann denn jemand im Ernst ausschließen, dass dergleichen auch in Deutschland passiert? Die menschliche Zivilisation ist eine ganz dünne Eisschicht, welche unheimliche Tiefen nur notdürftig verbirgt. Da gilt es, sich auf die Gegenkräfte zu besinnen.

Artikel vom 17.11.2004