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Kunsträuber plündern Mexikos Kirchenschätze

Organisierte Kriminalität: Täter gehen in Gruppen vor und wählen gezielt die kostbarsten Stücke aus

Von Klaus Blume
Puebla (dpa). Die Irrfahrt des Heiligen Franziskus dauerte drei Jahre. Um die Osterzeit 2001 waren Diebe in die Kapelle des Dorfes Tochimilco im mexikanischen Bundesstaat Puebla eingebrochen und hatten dort einen Altaraufsatz abmontiert, auf dem der Ordensgründer vor einem Engel niederkniet. Mit ihrer Beute waren sie unerkannt entkommen. Im April dieses Jahres wurde das kostbare Stück in einer Galerie in Santa Fé im amerikanischen Bundesstaat New Mexico sichergestellt.
Der US-amerikanische Botschafter in Mexiko, Tony Garza (r.) übergibt dem mexikanischen Generalbundesanwalt Rafael Macedo de la Concha den sichergestellten Altaraufsatz.Die Marienkirche von Tonanzintla: Kirchen wie diese ziehen auch professionelle Diebe an. Das ehemalige Franziskanerkloster in Tochimilco, 150 Kilometer südöstlich von Mexiko-Stadt, steht auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO. Dort wurde 2001 der Altaraufsatz geraubt.
Die Fahnder hatten das Kunstwerk aufgespürt, weil es für 255 000 Dollar (205 000 Euro) im Internet zum Kauf angeboten wurde.
Noch sind die Täter nicht bekannt. Doch Staatsanwälte und Restauratoren in Mexiko-Stadt sind überzeugt, dass es Profis waren, die das 2,35 Meter hohe, 1,70 Meter breite und 200 Kilogramm schwere Hochrelief davonschafften, es mit einer später von ihnen wieder entfernten Tarnfarbe versahen und es auf eine 2000 Kilometer weite Reise schickten. Vor wenigen Tagen wurde das aus dem frühen 17. Jahrhundert stammende Kunstwerk nach Mexiko zurückgebracht. Vor der versammelten Presse übergab es US-Botschafter Tony Garza dem mexikanischen Generalbundesanwalt Rafael Macedo de la Concha.
Der Heilige Franziskus von Tochimilco ist kein Einzelfall in Mexiko. In dem mit Kirchenschätzen reich gesegneten Land hat der Raub sakraler Kunst in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Das Nationale Institut für Anthropologie und Geschichte (INAH) zählt 180 Fälle pro Jahr, die Dunkelziffer nicht eingerechnet. Ob Statuen, Reliefs oder Ölgemälde, Marien- und Jesusfiguren, Erzengel, Cherubim und Seraphim - nichts ist den gut organisierten Banden heilig. Sicherheitsmängel machen ihnen in vielen der 60 000 Kirchen und Kapellen Mexikos die Arbeit leicht. Und nur in wenigen Fällen wird, wie in Tochimilco, das Diebesgut aufgespürt.
Teresa Loera, die als Nationale Koordinatorin beim INAH in Mexiko-Stadt für die Erhaltung der Kulturschätze Mexikos zuständig ist: »Wir kommen zu dem Schluss, dass es sich in den meisten Fällen von Kirchenkunstraub um organisierte Kriminalität handelt. Die Täter gehen in Gruppen vor und suchen sich gezielt die wertvollsten Stücke heraus«. Dass heute mehr als früher geraubt werde, liege auch daran, dass das internationale Interesse an der Barockkunst der spanischen Kolonialzeit gestiegen sei. »Das gibt den Kunstwerken einen Marktwert, den sie früher nicht hatten«, sagt sie.
Ein beliebtes Ziel der gottlosen Ganoven ist wegen seines kunsthistorischen Reichtums der östlich von Mexiko-Stadt gelegene Bundesstaat Puebla. Die gleichnamige Hauptstadt wurde 1531 von den spanischen Eroberern Mexikos gegründet. Einer Legende nach gingen ihnen die Engel zur Hand und zogen nachts den Grundriss. Deshalb nennt man die zwei Millionen Einwohner zählende Großstadt noch heute »Puebla de los Angeles« - Puebla der Engel. Schon 1524, kurz nach der Unterwerfung des Aztekenreiches, kamen die ersten Franziskaner nach Mexiko. In der Hochebene zwischen Puebla und den schneebedeckten Vulkanen Popocatépetl und Iztaccíhuatl bauten sie auf den Trümmern indianischer Tempel die Klosterfesten von Tochimilco, Cholula, Calpan, Huejotzingo und Huaquechula.
Doch die kolonialen Kirchen und Klöster Pueblas ziehen nicht nur Touristen an. In den vergangenen fünf Jahren registrierte das INAH dort 133 Fälle von Kirchenraub mit 478 entwendeten Gegenständen. Weniger als fünf Prozent wurden aufgeklärt. »Warum gibt es die Diebstähle? - Weil es einen Markt gibt«, sagt Víctor Hugo Valencia, der Direktor des INAH in diesem Bundesstaat. Er beklagt, dass in einem christlich geprägten Land wie Mexiko die religiösen Bindungen nachließen, der Respekt vor sakralen Gegenständen nach und nach verloren gehe. »Was ist nur mit dieser tief katholischen Gesellschaft los?«, fragt der Archäologe.
Um den Kirchenräubern das Handwerk zu legen, setzt das INAH auf Aufklärung und Vorbeugung. Mit Broschüren und Kampagnen werden Priester und Gemeindemitglieder aufgefordert, ihre Kirchen besser vor Einbrüchen zu schützen. Außerdem sollen sie Inventarlisten ihrer Kunstwerke anlegen und sie fotografieren. Ein Poster zeigt den Heiligen Antonius am Hochaltar, wie er einen Dieb am Handgelenk packt. »Statt nur die Messen vorzubereiten, müssen die Priester auch die Sicherheit ihrer Tempel organisieren«, sagt Valencia.
Für die Gläubigen in Tonantzintla, 20 Kilometer südwestlich von Puebla, ist das keine Frage. Tag und Nacht bewachen sie ihre kleine Marienkirche, deren eigentümliche Magie jeden Besucher verzaubert. In die Kirche Santa María Tonantzintla ist noch niemals eingebrochen worden.

Artikel vom 24.12.2004